Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

280 Hauptverhandlung. 
durch eine ausdrückliche Erklärung des Vorsitzenden, an welche sich der Aufruf der 
Sache durch den Schriftführer unmittelbar anschließt (wichtig allerdings nur, wenn 
für dieselbe Sitzung mehrere Sachen bestimmt sind). Der nächste Schritt ist die 
Konstatirung der Anwesenheit der Parteien; bezüglich der von der Staats- 
anwaltschaft vertretenen Anklage bedarf es keines besonderen Schrittes; wol aber 
wenn es sich um einen die Anklage führenden Privaten handelt, der sich selbst oder 
dessen Vertreter sich legitimiren muß. Das Gleiche gilt bezüglich des auf freiem 
(uße befindlichen Angeklagten; ist er nicht auf freiem Fuße, so muß er (und zwar 
ungefesselt) vorgeführt werden. Die Oesterreichische StrafP.O. ordnet auch an, daß 
in diesem Angenblick oder vielmehr „vor dem Beginn der Verhandlung“ die zur 
Beweisführung erforderlichen Gegenstände in den Sitzungssaal gebracht werden. Die 
zwei nächsten Schritte sind nun die Vernehmung des Angeklagten über seine perfön- 
lichen Verhältnisse und der Aufruf der Zeugen und Sachverständigen, welche beiden 
Akte nach der Oesterr. StrafP.O. in der eben angegebenen, nach der Deutschen in der 
umgekehrten Ordnung einander folgen. Die Vernehmung des Angeklagten über die 
sog. Generalien wird gewöhnlich die Bedenken zu Tage bringen, welche gegen die 
Abhaltung einer kontradiktorischen Verhandlung mit ihm sich ergeben und welche 
entweder den Abbruch der Verhandlung oder doch besondere Vorkehrungen nöthig 
machen können: Zweifel an der Identität des Angeklagten, an seiner geistigen Ge- 
sundheit, wie sie erforderlich ist, damit er sich an der Verhandlung betheiligen könne, 
bezüglich jugendlichen Alters, soweit dieses der selbständigen Theilnahme an einer 
solchen entgegensteht. Von Wichtigkeit ist hier, auch wenn der Angeklagte erschienen 
ist, die Prüfung der Korrektheit der Ladung. Wienn dabei die Frist, welche 
die Gesetze bestimmen (s. d. Art. Ladung) nicht berücksichtigt ist, so tritt nach 
Oesterr. Recht (§ 281, Z. 3; § 344, Z. 4) Nichtigkeit der H. ein, nach § 227, Abs. 3 
der Deutschen Straf f O. „soll“ in solchem Falle der Vorsitzende den Angeklagten 
„mit der Befugniß, Aussetzung der Verhandlung zu verlangen “, bekannt machen. 
Diese Befugniß, welche der Beurtheilung des Gerichtes keinen Raum läßt, währt 
nur so lange bis mit der Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Haupt- 
verfahrens der Anfang gemacht ist (§ 216). Bei dieser Bedeutung der Ladung 
können auch Formfragen bezüglich der Korrektheit derselben, insbesondere bezüglich 
der Identität des Angeklagten mit der in der Ladung bezeichneten 
Person auftauchen. — Bei dieser ersten Vernehmung wird manchmal erst der 
Umstand, daß der Angeklagte taub, stumm, der Verhandlungssprache nicht mächtig 
ist, u. dgl. hervortreten. — Was nun den Aufruf der Zeugen und Sach- 
verständigen betrifft, so wird er zunächst dazu benutzt werden können, um an 
dieselben jene Bekehrungen und Ermahnungen zu richten, die sonst zu oft wiederholt 
werden müßten; es werden ferner die Anordnungen getroffen, welche nöthig sind, 
damit noch nicht vernommene Zeugen der Vernehmung der anderen nicht beiwohnen, 
damit Verabredungen zwischen ihnen u. dgl. möglichst verhindert werden. Umge- 
kehrt wird es nöthig sein, bezüglich der Sachverständigen dafür vorzusorgen, daß sie 
denjenigen Vernehmungen beiwohnen, deren Kenntniß ihnen nothwendig ist. Wich- 
tige Beschlüsse können zu fassen sein, wenn Zeugen oder Sachverständige ausge- 
blieben sind; es werden nicht blos die Zwangs= und Ahndungsmaßregeln gegen 
dieselben in Betracht kommen, sondern es ist die Frage, ob sie ersetzt werden können, 
was namentlich bezüglich der Sachverständigen leicht denkbar ist, soweit es nur auf 
das Gutachten, nicht auf den Befund ankommt. Nach der Oesterr. StrafP O.- ent- 
scheidet beim Ausbleiben von Zeugen und Sachverständigen das Gericht nach An- 
hörung der Parteien, „ob die H. vertagt oder fortgesetzt werden und statt der 
mündlichen Abhörung jener Zeugen oder Sachverständigen die Verlesung der in der 
Voruntersuchung abgelegten Aussagen derfelben erfolgen soll.“ Diese Ausnahme von 
dem Grundsatz der Mündlichkeit ist nach der Deutschen Straf P O. nicht gestattet. 
Es wird daher in solchem Falle die H. nur fortgesetzt werden können, wenn nicht
	        
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