Indemnität. 361
sich ergab, daß der Haftbefehl „ohne genügenden Grund“ erlassen worden, oder daß
ein Mißbrauch der Amtsgewalt gegen den Verhafteten stattgefunden hatte. Deshalb
wurden auch noch „Indemnitätsacte“ nachträglich erlassen, um die Beamten gegen
solche Klagen zu schützen, indem man annahm, daß sie verhindert seien zu ihrer
Vertheidigung gewisse amtliche Verhältnisse offen zu legen, während doch ihr Ver-
fahren „durch die Noth des Augenblicks“ gerechtfertigt gewesen (z. B. in 57 Geo.
III. c. 3. 55; 58 Geo. III. c. 6). — Eine weitere Gruppe von Indemnitätsacten
wurde veranlaßt durch Ueberschreitungen des königlichen Verordnungsrechtes im
Gebiet der Seekriegs-Prärogative, wie im Jahre 1766 wegen eines Em-
bargo über alle mit Weizen zur Ausfuhr beladenen Schiffe in Zeiten der Hungers-
noth, und in einigen späteren Fällen; in den Jahren 1807 und 1808 wegen der
Blockade der Französischen Häfen. — Im Jahre 1797 und 1858 sind wegen einer
Abweichung ministerieller Maßregeln von den Gesetzen für die Bank von Eng-
land Indemnitätsacte ertheilt worden. — Eine jährlich wiederholte Indemnitäts-
acte wurde durch die veraltete Form gewisser Amtseide veranlaßt; sie erging in
dem Sinne, daß Alle, welche solche für Uebernahme ihres Amts gesetzlich erforder-
lichen Eide versäumt haben, von den dafür verwirkten Strafen entbunden werden.
Ueberall handelt es sich in der J. um Dispensation von Gesetzen durch
Gesetz. Dem Erfolge nach kann allerdings eine Ministeranklage sich auch dadurch
erledigen, daß das Unterhaus die Anklage nicht erhebt, oder auch ausdrücklich be-
schließt, einen Strafantrag nicht zu stellen, wie dies in einem Präzedenzfall gegen
den Earl Macclesfield geschehen ist. Allein diese absichtliche Unterlassung der Straf-
verfolgung wird nicht unter den Begriff der „J.“ gestellt, und entbehrt überhaupt
der rechtlichen Wirkung, da das Haus durch einen späteren Beschluß auf eine An-
klage zurückkommen könnte.
In den Nachbildungen der parlamentarischen Verfassung auf dem Kon-
tinent fehlte der Zwischenbau des Englischen Staats, welcher eine Regierung nach
Gesetzen und eine rechtliche Verantwortlichkeit der Beamten dafür garantirt. Es
fehlte an einer selbständigen Jurisdiktion über das öffentliche Recht, an einer Ge-
wöhnung, ja selbst an einer Möglichkeit einer streng innegehaltenen Regierung
nach Gesetzen, wo neue gesellschaftliche Interessen in stetigem Widerspruch mit einer
althergebrachten Rechtsordnung lagen. Im stärksten Maße galt dies von Frankreich
seit der Revolution. Man ließ daher den Grundsatz der juristischen Verantwort-
lichkeit des Beamtenthums überhaupt fallen, und beschränkte den Begriff der Mini-
sterialverantwortlichkeit auf solche Fälle, wie sie in England unter Karl II. vorge-
kommen waren, wegen Mangels der „honesty, justice and utility“ einer ministe-
riellen Maßregel, „un mauvais usage de la puissance, due la loi confert.“ Der
Englische Präzedenzfall hatte sich auf die ganz eigenartige Handhabung der aus-
wärtigen Hoheit bezogen: hier wird er generalisirt, auf die durch Gesetze ge-
regelte innere Verwaltung ausgedehnt und damit völlig umgewandelt. Ein solcher
jeder rechtlichen Bestimmtheit entbehrender Begriff ging alsbald in den der sog.
„politischen“ Verantwortlichkeit über — einer Censur oder Mißbilligung der
Ministerverwaltung durch die Kammern —, und führte damit zu dem System des
Ministerwechsels. Die rechtliche Verantwortlichkeit der Diener der Krone wurde
daneben völlig in den Hintergrund gestellt, für „unzeitgemäß“ oder „unpolitisch“
erklärt. Diese grundsätzliche Negation der Hauptgrundlage des Rechtsstaats führt zu
einer großen Leichtigkeit in Zulassung von Ueberschreitungen des Verordnungsrechts
in das Gebiet der Gesetze überhaupt. Man sieht nunmehr alle Arten der Ab-
weichung der Ministerialverwaltung von den Gesetzen als Acte an, welche durch eine
„Indemnitätserklärung“ der Kammern zu decken seien. Man ertheilt solche Indem-
nitäten ebenso im voraus wie nachher. Man hält dafür selbst bloße Resolutionen
der Kammern ausreichend. Die völlige Haltlosigkeit eines solchen Begriffs würde
zur Erscheinung kommen, wenn ein späterer Kammerbeschluß, trotz der ertheilten I.,