Irrthum. 399
Eine Verpflichtung zur Anzeige einer ausgebrochenen Geistesstörung besteht in
Oesterreich laut Regierungscirkular für die Umgebung eines Menschen, an dem sich
Symptome einer heftigen Sinnesverwirrung zeigen.
Die Aufsicht über nicht internirte Irre erstreckt sich auf eine Statistik derselben
im betreffenden Regierungsbezirk, die Art ihrer Verpflegung und Ueberwachung, ihren
öffentlichen Schutz gegen Vernachlässigung, Verunglimpfung und Mißhandlung, wegen
welcher nach Umständen über die Schuldigen und die zur Pflege Verpflichteten
Strafe verhängt werden kann. Die Staatsärzte haben sich durch gelegentliche oder
eigens dazu unternommene VBisitationen in ihrem Bezirk von dem Stand der Irren-
fürsorge zu verlässigen und etwaige Ungehörigkeiten der Behörde anzuzeigen, die im
Fall von Gefährlichkeit oder Hülflosigkeit die zwangsweise Versetzung in eine Anstalt
verfügen kann. Aus bloßen Heilgründen kann die Aufnahme eines Irren in eine
Anstalt nicht zwangsweise verfügt werden, denn die Art der Fürsorge für erkrankte
Verwandte steht den Angehörigen privatrechtlich zu. Sollte aber eine erhebliche
Vernachlässigung in gesundheitlicher Beziehung konstatirt sein, so kann die Behörde
die Verbringung in eine Anstalt oder sonstwie über den Kranken verfügen.
Das Belgische Irrengesetz bestimmt, daß Niemand im eigenen oder einem fremden
Hause internirt werden darf, wofern nicht von zwei Aerzten, von denen der eine von
der Familie, der andere vom Friedensrichter des Kantons ernannt ist, die Seelenstörung
konstatirt ist.
Auch die fernere Beaufsichtigung aus Anstalten ungebessert Entlassener oder
solcher Genesenen, bei denen ein Rückfall zu befürchten ist, ist Aufgabe der Bezirks-
behörde und öffentlichen Aerzte des Distrikts. Der Anstaltsarzt hat in diesen Fällen
die betreffenden Behörden vom Zustand des Entlassenen zu unterrichten und Vor-
schläge für die Beaufsichtigung und Pflege desselben (Lokalversorgung) zu machen.
Da wo nach dem Statut der Anstalt der Pflegling nur provisorisch aus derselben
ausscheidet und die Anstaltsdirektion durch Berichte in Verband mit ihm bleibt, ist
diese öffentliche Fürsorge wesentlich erleichtert. In Oesterreich ist die Bestimmung
getroffen, daß die Verpflegung unheilbarer Irrer außer den Anstalten nur Leuten
überlassen werden soll, welche Mittel und Fähigkeit zu solcher Pflege haben, auch
müssen Polizeibehörde und Polizeiarzt davon verständigt und zu einer gehörigen
Ueberwachung angehalten werden.
Lit.: Irrengesetze in Deutschland, Supplementheft z. Bd. XIX. d. allg. Ztschr. f. Psychiatrie
(Berlin, Hirschwald 1862); in Frankreich, Genf, Niederlanden, England, Norwegen, Belgien,
Schweden ebendaf. Supplementheft z. Bd. XX. 1863; Irrengesetze der Schweiz, Annales mé-
dico-psychologiques, 1867, Juillet, Sept., Nov. — Sander, Staatliche Beausfsichtigung der
Preuß. Irrenanstalten, Horn's V.J. Schr. 1865, Nr. 12. — Brefeld, Zum Rechte der Geistes-
kranken (Beiträge zur Reform des Sanitätswesens in Westfalen, Nr. 1), 1849. — Foville,
Les Aliénés; étude pratique sur la Iégislation et Passistance publique, qui leur sont
applicables, 1870. — Bertrand, Etudes de la Iégislation anglaise sur les aliénés, com-
parée à celle des autres pays, im Bulletin de la société de la Iégislation Comparée, Mars
1870. — Pelman, Allg. Fetschr. f. Psychiatrie Bd. XXXI. — v. Krafft, Beilage zum
Psychiatr. Centralblatt (Wien), Jahrg. 1876 u. 77. v. Krafft-Ebing.
Irrthum im Civilrecht. J. (error) im engeren Sinne ist jede unwahre
Vorstellung; im weiteren Sinne aber nicht nur das Falsch-, sondern auch das bloße
Nicht-Wissen einer Thatsache (ignorantia). Der J. kommt auf dem Rechtsgebiete
mannigfach in Betracht (vgl. die Aufzählung bei Vangerow, I. § 83), immer aber
entweder als rechtlich erfordertes Moment eines Thatbestandes, wie z. B. der
bonae fidei possessio, einer causa restitutionis u. s. w., oder umgekehrt als
Negation des zu einem Thatbestande gehörigen Moments der scientia, z. B. beim
Ablauf eines tempus utile (I. 2 pr. D. quis ordo 38, 15). Diese Unterscheidung
ist zuerst von Savigny angebahnt, welcher in den Fällen der zweiten Art von
einem unechten J. geredet wissen will (Syst. III. S. 441, vgl. S. 263); tiefer
begründet und durchgeführt ist sie von Zitelmann (IJ. und Rechtsgeschäft,