Jus angariae — Justitium. 423
Verwerfliche Personifikationen, welche durch die Vorstellung einer Fiktion,
die man nach Belieben ausdehnen zu können meinte, befördert wurden, sind vielfach
aufgestellt worden. So wollen Manche eine successive Personenmehrheit (wie die
Träger eines Amtes, eine Reihenfolge von Legataren derselben Sache) unter Um-
ständen als j. P. betrachten. Andere personifizirten die Grundstücke, die Handels-
firma, andere Vermögenskomplexe, selbst einzelne bewegliche Sachen, was auf
einer völligen Verkennung des Wesens der Persönlichkeit einerseits und der
Möglichkeit einer besonderen rechtlichen Qualifizirung der Rechtsobjekte andererseits
beruht.
Lit.: Savigny, Sgyst., II. §§ 85—102. — Puchta, Rechtslex. III. 65 e — Pfeifer,
Die Lehre von den jurist. Personen, Tübingen 1843. — Beseler, Volksr. Fue- c.
VI. Syst. 88 66 ff — Weiske, Prakt. Untersuchungen, III. — Schmid, Wn . civ. Pr.
Bd. XXXVI. S. 147 ff. — ünger, Krit. Uebersch. VI. 171 ff. — v. Gerber, Zeitschr. f.
Civ. NK. u. Proz. N. F. Bd. XII S. 193 ff. — Sintenis, Civ.R., I. 8 15. — Wind-
scheid, Pand., S 49, 57 ff. — Brinz, Pand., S. 979—1150 — Salkowski, Bemerk. zur
Lehre von den i.° P., Leipz. 1863. — Bekker, Jahrb. f. Dogmatik Bd. XII. S. 1—135. —
Demelius, ibid. Bd. IV. S. 113 ff. — Bluntschli, Krit. V. J. Schr. I. 321 ff. u. 481 ff. —
Ihering, Geist des Röm. Rechts, III. 1 §8§ 60 ff.; Derselbe, Zweck im Recht, I. 551.
Baron, Die Gesammtrechtsverhältnisse 1254, § . — Kuntze, Kurfus des Röm. Rechts,
S. 299 ff.; Derselbe, Exkurse, S 81 ff. 2 . Aufl. S 263 ff. resp. S. 440 ff. — Böhlau,
Fchbe u. Personenrolle, *N 1871. — Stobbe, Deutsches Priv. R., §§ 49—62. —
Lasson, Prinzip und Zukunft des Völkerrechts, Berl. 1871, S. 122—140. — Zitelmann,
Begriff und Wesen der sog. j. P., Leipz. 1873. — Dahn, Vernunft im Recht, 1879, S. 160 ff. —
Bolze, Der Begriff der j. P., Stuttg. 1879. — Roth, Deutsches Priv.N. J. g mi. — Ueber
die Do mengeschichte bei den Nömern besonders Pernice, Labeo, S. 254—309. — Ueber die
Entwickelung der Anschauungen des Deutschen Rechts: O. Gierke, Gesch. des Deutschen Körper-
schaftsbegrife, Berlin 1873. O. Gierke.
Jus angariae. Darunter versteht man die von kriegführenden Mächten geübte
Befugniß, neutrale Schiffe, welche sich in ihrer Machtsphäre befinden, zu Kriegs-
zwecken (Transport von Soldaten und Kriegsmaterial, Sperrung von Gewässern u. s. w.)
zu benutzen. Nur dringender Nothfall kann ein solches Vorgehen rechtfertigen, welches
alsdann die Pflicht zur vollen Entschädigung der Schiffseigenthümer nach sich zieht.
Noch im Deutsch-Französischen Kriege von 1870 ist die Sache aus Anlaß der von
einem Preußischen Heerführer angeordneten Versenkung Englischer Schiffe in der Seine
erörtert und dabei über die Voraussetzungen und Folgen der Angarie volles Ein-
verständniß zwischen der Deutschen und Britischen Regierung erzielt worden.
Lit.: Phillimore, Commentaries, 2. Aufl. III. S. 50. — Correspondence presented.
to both houses of Parliament 871, resp. the sinking of six br. vessels in the river Seine
by prussian troops. B. König.
Justitium, d. h. Stillstand der Thätigkeit der Gerichte in Folge von Ereig-
nissen, welche vom Willen derselben unabhängig sind, also in Folge von Krieg,
allgemeinen Landeskalamitäten, von Ueberschwemmungen, Epidemien 2c. Da unter
diesen Umständen den Parteien die Möglichkeit entzogen ist, ihr Recht zu verfolgen,
so muß ohne Weiteres auch für die Dauer solcher Ereignisse eine Suspension aller
auf die Unterlassung der Parteithätigkeit gerichteten Nachtheile eintreten. Nach der
Deutschen CP. tritt in solchen Fällen kraft Gesetzes die sog. Unterbrechung
des Verfahrens ein. Sie hat die Wirkung, daß jede während dieses Zustandes von
einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommene Prozeßhandlung der anderen
Partei gegenüber, ohne rechtliche Wirkung ist, und daß der Lauf einer jeden Frist
aufhört, sowie nach Beendigung der Unterbrechung die volle Frist von Neuem zu
laufen beginnt. Für das Gebiet des Civilrechts hat das J. für seine Dauer das
Ruhen der Verjährung und Ersitzung zur Folge, ein Grundsatz, welcher gleichfalls
in Oesterreich und Sachsen zur Anwendung kommt, während in Altpreußen solche
Ereignisse nur den Anfang der Verjährung und Ersitzung, für die Regel aber nicht
den schon begonnenen Lauf derselben hindern.