Kindesmord. 455
einen weißen, gelblichen oder röthlichen Schleim in geringer Menge und etwas
Fruchtwasser. Findet sich bereits geronnene Milch oder Speisebrei in demselben,
dann hat Nahrungsaufnahme stattgefunden und ist die gesetzliche Forderung „gleich
nach der Geburt“ wol nicht mehr gegeben. e) Das Kindspech, welches in den
dicken. Gedärmen reichlich vorhanden, wird in der Regel in den ersten zwei Tagen
entleert; ein mit demselben gefüllter Darm spricht daher dafür, daß das Kind nicht
über zwei Tage alt geworden ist. Noch kann die Beschaffenheit der Kreis-
lauforgane für die Diagnose der Neugeborenheit verwendet werden, da bald nach
eingetretener Lungenathmung die Nabelgefäße enger werden und obliteriren, das
eirunde Loch, sowie der Botallische und Arantische Gang sich schließen.
2) Die Reife. Man versteht darunter den Grad der Ausbildung, welchen
das Kind mit Ablauf der 40. Schwangerschaftswoche erreicht (H. v. Fabrice).
Sie beginnt mit dem 210. Tage und schreitet von da stetig fort bis zum 280., für
welchen das normale Ende der Schwangerschaft angesetzt wird. Die unreife
Frucht hat weniger als 40 cm Koörperlänge und ein Gewicht unter 1½ kg.
Die Haut ist intensiv roth, fettlos, welk, die Nägel dünn, noch nicht
bis an die Fingerspitzen reichend, die Haare kurz, dünn, weiß und zart; die
Nähte der Kopfknochen stehen noch weit offen, daher die einzelnen Knochen
leicht beweglich und verschiebbar und die Fontanellen noch sehr groß sind. Das
Gesicht ist mager, faltig und hat alte Züge, die Pupillenmembran ist noch vor-
handen. Der Nabel steht über der Mitte der Körperlinie, die Hinterbacken
ragen nicht hervor. Bei Knaben ist der Hodensack roth, ohne Runzeln, schlaff
herabhängend; die Hoden stecken noch im Leibe oder im Leistenring. Bei Mädchen
ragt die Clitoris (Kitzler) stark hervor, die kleinen Schamlippen werden von den
weit klaffenden großen Schamlippen noch nicht bedeckt. Denken wir uns die Zeichen
der Unreife in ihr positives Gegentheil umgesetzt und wir haben die Charaktere der
Kindesreife gegeben. Besonders wichtig zur Beurtheilung derselben sind außerdem
noch: a) Die Maße der wichtigsten Körpertheile und zwar die Körper-
länge (48—58 cm; im Mittel 51 cm nach Hecker); die Kopfdurchmesser,
wobei man den geraden, den großen und kleinen queren, den senkrechten und den
diagonalen Durchmesser zu unterscheiden hat; die Umkreife, d. i. die Contour
des Scheitels und des Hinterhauptes; die Dimensionen der Brust nach Schul-
terabstand und Brustumfang; der Hüftenabstand und Länge und Umfang
des Bauches. b) Die Gewichtsbestimmungen. Dieselben sind schwankender
als die Maße. Doch ist 3—4½ kg das Durchschnittsgewicht, c) Der Knochen-
kern in der unteren Schenkelepiphyse. Auf den Werth dieses Reifezeichens machte
1819 Beclard aufmerksam; durch Casper wurde dessen allgemeine Verwerthung
für die Reifebestimmung inaugurirt. Gewöhnlich in der 38. Schwangerschaftswoche
tritt in der unteren Epiphyse des Oberschenkels ein Anfangs nur ½ Linie messender
Knochenkern auf, welcher im vollständig ausgetragenen Kinde bis zu drei Linien an-
wachsen kann; doch ist nicht außer Acht zu lassen, daß er manchmal auch bei
ganz reifen Kindern fehlen kann, und daß seine Größe solchen Schwankungen unter-
worfen ist, daß eine Verwerthung für die Frage, ob ein Kind mehrere Tage gelebt
habe, wie Casper vorschlägt, durchaus unstatthaft erscheint.
3) Die Lebensfähigkeit. Sie ist zwar weder im Deutschen Straf G. noch
im Oesterr. StrafG B. und Straf GEntw. direkt erwähnt; doch verlangt die Oesterr.
StrafP O. § 130 „zu erforschen, ob das Kind lebend geboren sei"“ und der Entw.
der StrafP.O. § 81, „ob es fähig gewesen sei, das Leben außerhalb des Mutter=
leibes fortzusetzen“". Es scheint die Konstatirung der Lebensfähigkeit wenigstens im
Sinne des Gesetzes zu liegen und dürfte daher auch diese Frage wiederholt an den
Sachverständigen gestellt werden. Wir verstehen unter Lebensfähigkeit diejenige
Beschaffenheit der Frucht, vermöge deren sie im Stande ist, nach erfolgter Geburt