44 Gemeinde, Gemeindeordnungen.
des feudalen und patrimonialen Gedankens die freie Gemeindeverfassung mehr und
mehr durch die Lehns= und Hofverfassung, das Gesammtrecht durch das Herrenrecht
zurückgedrängt. Immer indeß blieben auch die einem Grundherrn unterworfenen
Land--(#. für den Kreis ihrer inneren Angelegenheiten selbständige Genossenschaften,
welche in der Gemeindeversammlung die Rechte der Autonomie und der Selbst-
verwaltung übten. Vor Allem aber erhob sich in den vier letzten Jahrhunderten
des Mittelalters eine ganz neue und intensivere Gemeindefreiheit in den Städten,
welche in Wahrheit selbständige Republiken von größerem oder geringerem Umfange
wurden und nur einer monarchischen Schutzherrschaft, die in Deutschland bald dem
Kaiser, bald einem Landesherrn zustand, unterworfen zu sein pflegten. Die Bedeu-
tung der mittelalterlichen Städte war auf allen Gebieten und so auch auf dem
Gebiete von Verfassung und Recht keine geringere, als daß sie aus dem Mittelalter
die neue Zeit geboren haben. Die Städte zuerst haben in ihren Ringmauern den
erloschenen Staatsbegriff zu neuem Leben geweckt und bis ins Einzelne durchgeführt.
Aber damit wir statt des antiken Stadtstaates den modernen Flächenstaat auf
germanischer Grundlage entwickeln konnten, mußten die Städte, nachdem sie ihre
Mission vollendet, ihre Aufgabe an eine höhere Staatseinheit abgeben. Eine solche
stellten fast überall die Kürsten, in Deutschland freilich nur die Landesherren, her.
Der neue Landesstaat war seiner innersten Natur nach unvereinbar mit dem Fort-
bestande der alten Gemeindeselbständigkeit, vermöge deren jetzt die Gemeindekörper
als Staaten im Staat erschienen. Sein ununterbrochenes Streben ging dahin, die
G. ihrer staatlichen Funktionen zu berauben und die letzteren in der Einen und
untheilbaren obrigkeitlichen Staatsgewalt zu konzentriren. Aber damit nicht genug!
In einseitiger Uebertreibung des Staatsbegriffes glaubte man nicht nur alles staat-
liche, sondern überhaupt alles öffentliche Leben allein aus Einer Quelle ableiten
und in Einem Punkte versammeln zu müssen. Von den kleineren Staaten abgesehen,
verstand nur England eine centrale und umfassende Staatseinheit zu gründen, ohne
die historische Gemeindefreiheit zu vernichten. Auf dem europäischen Kontinent da-
gegen entfaltete man mehr und mehr ein System staatlicher Bevormundung, unter
dessen Druck das einst so kräftige Gemeindeleben dahinsiechte und endlich auch inner-
lich verknöcherte und verfaulte. Ja es stand hier die Unterdrückung der G. in
direktem Verhältniß zu der Fülle und Lebenskraft des Staatsgedankens. So ging
in Deutschland gerade derjenige Staat, welcher zum Träger des Deutschen Staats-
gedankens vorzugsweise berufen war, im 18. Jahrhundert am einschneidendsten gegen
die Gemeindefreiheit vor. Während man die persönliche und dingliche Befreiung
der Landbevölkerung anbahnte, konstruirte man doch fast durchgängig die politischen
Land-G. als bloße Polizeiverwaltungsbezirke. Den Städten aber nahm man nicht
nur ihre eigene Gerichtsbarkeit und Polizei, sondern selbst die Wahl ihrer Behörden
und die Selbstverwaltung ihres Vermögens. Wurde doch in Preußen unter Friedrich
Wilhelm I. das Stadtvermögen für Staatsgut erklärt, dessen Verwaltungsüberschüsse
in die königlichen Kassen abgeführt werden sollten; es wurde an die Stelle des alten
Raths ein vereinfachter, direkt oder indirekt von der königlichen Kammer ernannter
Magistrat gesetzt; und die Städte wurden nach außen unter eine förmliche und bis
ins Kleinste durchgeführte Vormundschaft der Steuerräthe (commissarü# locorum)
und der Kriegs= und Domänenkammern gestellt! Das Facit der ganzen Bewegung
endlich zog mit logischer Schärfe die Französische Revolution und die unter ihrem
Einfluß stehende revolutionäre Gesetzgebung der Rheinbundsstaaten. Denn das neue
Munizipalsystem, welches die Franz. Gesetze, besonders vom 28 pluviose an VIII,
2 Pluviose an IX und 16 thermidor an X, gründeten und die Gesetzgebungen des
Königreichs Westfalen (v. 11. Jan. 1808), des Großherzogthums Berg (v. 13. Okt.
1807 und 18. Dez. 1808), des Großherzogthums Frankfurt (1810), des König-
reichs Bayern (1808), des Herzogthums Köthen (1811) und anderer Länder nach-