46 Gemeinde, Gemeindeordnungen.
Einen neuen Aufschwung brachte das Jahr 1848 in die G.gesetzgebung.
Ueberall stand die Erweiterung der Gemeindefreiheit unter den Forderungen des Tages
obenan. Nach dem Vorbilde der Deutschen Reichsverfassung vom 28. März 1849
(§§ 183 und 184), welche jeder G. als Grundrechte ihrer Verfassung die Wahl
ihrer Vorsteher und Vertreter, die selbständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegen-
heiten mit Einschluß der Ortspolizei unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des
Staates, die Veröffentlichung des Gemeindehaushalts und die regelmäßige Oeffent-
lichkeit der Verhandlungen garantiren, auch die Exemtionen vom Gemeindeverbande
aufheben wollte, nahmen die meisten Verfassungsurkunden der Einzelstaaten einige
leitende Grundsätze über Gemeindewesen auf. Demnächst ergingen fast überall aus-
führliche Gem. Ordn., welche indeß mit einzelnen rühmlichen Ausnahmen (z. B. Han-
nover und Braunschweig) nur allzusehr dem vom Französischen Vorbilde geweckten
liberal-doktrinären Zuge der Zeit folgten. In Folge dessen litten diese Gesetze an
Uniformirungssucht und Vorliebe für mechanische Konstruktion; unter Nichtachtung
der in der Natur und im Leben begründeten Unterschiede wollte man nur noch Un-
terschiede nach Zahlen zulassen und die Ostpreußische Landgemeinde so gut wie die
Rheinische Stadt demselben bis ins Detail fertig gemachten Schema einfügen,
ohne zu bedenken, wie illusorisch die Selbstverwaltung eines dergestalt eingeengten
und jeder Selbstbestimmung beraubten Körpers sein mußte. Doch waren es
weniger diese Fehler, als die der Gemeindefreiheit gemachten Konzessionen, welche
bald eine Reaktion hervorriefen. Ueberall wurden in den fünfziger Jahren die
Gem. Ordn. im Geiste dieser Zeit sistirt, revidirt oder umgestaltet. Am härtesten traf
diese Reaktion die Landgemeinden. Erst in den beiden jüngsten Jahrzehnten ist
wieder ein Umschwung nach der entgegengesetzten Richtung hin eingetreten. Man
scheint nun endlich den Weg gefunden zu haben, auf welchem dem Deutschen Ge-
meindewesen eine gedeihliche Entfaltung gesichert werden wird. Die Gem. Ordn, dieser
neuesten Epoche suchen die Basis der G. zu verbreitern und ihr doch die Fähigkeit
zu erweiterter Selbstregierung zu bewahren; sie suchen die Grundzüge des Gemeinde-
wesens gleichmäßig zu gestalten, ohne doch das wirthschaftliche, provinzielle und
lokale Sonderleben jedes individuellen Zuges zu Gunsten einer ertödtenden Gleich-
förmigkeit zu berauben; sie suchen endlich die G. in den Organismus der modernen
Selbstverwaltung einzugliedern und mit dem über ihnen sich erhebenden Bau der
Kreis-, Bezirks= und Provinzialverbände in lebendige Verbindung zu setzen.
III. Die Deutschen Gemeindeordnungen. Die unter dem Wechsel
so verschiedenartiger Strömungen in den einzelnen Staaten erlassenen Gem. Ordn. bieten
ein nach Zeit und Ort höchst buntscheckiges Bild dar. Auch das geltende Deutsche
G. recht ist in Folge dessen, bei einiger Uebereinstimmung der Grundzüge, sehr man-
nigfach gestaltet. Zur Orientirung mag die folgende Uebersicht über den Verlauf
der G. gesetzgebung in den wichtigsten Staaten dienen.
1) Preußen. Während die Umwandlung der Städteverfassung im 18. Jahr-
hundert durch sog. „rathhäusliche Reglements“ für die einzelnen Städte erfolgt, auf
dem Lande aber nur die äußere, polizeiliche Seite der G. durch provinzielle Dorf-
oder Schulzenordn. bisweilen geregelt war, enthielt das Preuß. LR. in Th. II.
Tit. 8 eine allgemeine Städteordn. und in Th. II. Tit. 7 allgemeine Bestimmungen
für die Landgemeinden. Das LR. faßte die G. im Sinne seiner Zeit durchaus als
Staatsanstalten mit den Rechten einer „privilegirten Korporation“ auf, verwandelte
indeß ihre bis dahin der Willkür preisgegebene Stellung wenigstens in eine feste
Rechtsstellung und überließ die innere Verfassung im Wesentlichen dem Ortsher-
kommen. Als dann die große reformatorische Gesetzgebung, welche die Wiederer-
hebung des tief gefallenen Staates vorbereitete, die Städteordn. vom 19. Nov. 1808
geschaffen hatte, wurde die Neuorganisation der Landgemeinden gleichfalls in Aus-
sicht genommen und im Edikt vom 30. Juli 1812 versprochen. Dem Aufschwunge
der Freiheitskriege indeß folgte die Stockung der Restaurationszeit, man ließ nun-