Krankenanstalten. 573
den Kommunen übergeben, doch unter strengster Beaufsichtigung durch die Staats-
behörden. In jene Zeit fiel auch die Errichtung der noch heute in ihrer Art einzig
dastehenden „Administration de ’assistance publique“ zu Paris, welche verpflichtet
ist, jeden bedürftigen Kranken ohne Unterschied der Heimath und Nationalität in
einem der hauptstädtischen Krankenhäuser, welche sämmtlich ihr unterstellt sind, auf-
zunehmen.
Der Grundsatz der Unterordnung aller öffentlichen K. unter die
staatliche Aufsicht ist seit dem Anfange dieses Jahrhunderts in den meisten
Staaten (mit namentlicher Ausnahme Englands) herrschend geworden. Zugleich gab
die Entwickelung des medizinischen Unterrichts zur Errichtung rein staatlicher K.
Anlaß, welche auf die Beschaffung des erforderlichen Materials für den klinischen
Unterricht an der Universität berechnet wurden. Die allgemeine Aufgabe aber der
Errichtung von Anstalten für das Bedürfniß der Armenkrankenpflege blieb, soweit die
private Wohlthätigkeit dazu nicht ausreichte, den Kommunen infofern zugewiesen,
als diesen die Fürsorge für die bedürftigen Kranken in allen Kulturstaaten gesetzlich
zugewiesen wurde (vgl. d. Art. Armengesetzgebung), und die Ausübung dieser
Fürforge ebensowol aus ökonomischen wie aus humanitären Gründen zur Errichtung
besonderer Unterbringungsanstalten für diese Kranken hinführen mußte. Dem Staate
dagegen als solchem erwuchs ein unmittelbares Interesse an der Errichtung von
Krankenhäusern nur insofern, als letztere zur Isolirung kontagiöser, dem Gemeinwesen
im weiteren Sinne gefährlicher Kranker unentbehrlich erschien. Aus diesem Grunde
haben in einzelnen Ländern, z. B. in den Oesterreichischen Kronländern, die Re-
gierungen den Gemeinden oder Gemeindeverbänden die Herstellung geeigneter Loka-
litäten zur Krankenaufnahme bei Seuchenausbrüchen zur Pflicht gemacht. Am wei-
testen in der diesbezüglichen Bevormundung der Gemeinden ist man in der Heimath
des self-government, in England gegangen, wo vermöge der „Sanitary Act“ vom
Jahre 1866 die Gesundheitsbehörden überall befugt sind, auf Kosten der Gemeinden
sowol vorübergehende wie dauernde Hospitäler zu errichten.
Die Vorschläge centralistischer Sozialpolitiker, welche die Sorge für Errichtung
und Leitung aller öffentlichen K. dem Staate auferlegen wollen, widersprechen —
abgesehen von allen anderen Schwierigkeiten — dem erfahrungsgemäßen Interesse des
Wohlthätigkeitswerkes. Das Hospitalwesen theilt mit der ganzen Armenpflege die
Eigenschaft, um so kräftiger zu gedeihen, in je engeren Kreisen es sich organisirt. Der
Wohlthätigkeitssinn bedarf, um rege erhalten zu werden, perfön-
licher und nachbarlicher Beziehungen. Jede Verstaatlichung der Wohl-
thätigkeitsanstalten ist, wie die Erfahrung wiederholt gelehrt hat, gefolgt von einer
Erkaltung der örtlichen lebendigen Theilnahme und der freiwilligen Zuwendungen. Im
Interesse der Humanität ist daher dringend zu wünschen, daß dieses Feld in erster
Reihe der Privat= und freien Vereinsthätigkeit, in zweiter Reihe den Kommunen un-
verkümmert bleibe. Den letzteren muß mit der allgemeinen Sorge für ihre Ortsarmen
auch diejenige für die bedürftigen Kranken als eine Pflicht obliegen, zu deren aus-
reichender Erfüllung sie eventuell von der beaufsichtigenden Staatsbehörde angehalten
werden muß. Eine ausreichende Pflege der Armenkranken in deren eigenen Woh-
nungen ist aber nicht überall durchführbar, namentlich nicht in dichtbewohnten indu-
striellen Ortschaften, wo die Behausungen des Proletariats auch auf dem Lande
alle Bedingungen für eine wirksame Krankenpflege ausschließen. An solchen Orten
ist es daher Pflicht der Gemeinden, für eine zweckentsprechende Unterbringung
der bedürftigen Kranken in regelmäßiger Weise Sorge zu tragen. Diese Pflicht
erscheint um so gebieterischer, da nur durch solche Anstalten die Möglichkeit gewährt
wird, bei Seuchenausbrüchen die richtigen Maßregeln auszuführen. Wenn die Ge-
setzgebung in den meisten — auch in den Deutschen — Staaten zu einer solchen
Verpflichtung der Gemeinden keinen formellen Anhalt bietet, so ist dies eine Lücke,
die nicht blos in sanitärer, sondern auch in ökonomischer Hinsicht sehr zu beklagen