Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Gemeindebürgerrecht, Gemeindeverfassung. 59 
für die Rheinpfalz und das Bad. Gesetz vom 4. Juni 1874, huldigen demselben 
Prinzip einer Begründung des Ortsbürgerrechts von Rechtswegen, ohne den Ge- 
danken des korporativen Bürgerverbandes gleich entschieden fallen zu lassen. Die 
meisten Deutschen Gemeindeordnungen dagegen halten daran fest, daß das Gemeinde- 
bürgerrecht durch einen besonderen öffentlich-rechtlichen Akt, der sich als übereinstimmende 
Willenserklärung der Gemeinde und des eintretenden Bürgers charakterisirt, erworben 
werden muß. Sie lassen daher höchstens für die in der Gemeinde geborenen Ge- 
meindeangehörigen das Bürgerrecht von selbst oder doch durch bloße Eintragung in 
die Bürgerlisten entstehen; im Uebrigen machen sie den Erwerb desselben von einer 
Aufnahme seitens der Gemeindeorgane abhängig. Dabei wird jedoch regelmäßig 
unter bestimmten Voraussetzungen dem Einwohner ein Recht auf Aufnahme gegeben 
und unter gewissen anderen Voraussitzungen die Pflicht zur Erwerbung des Bürger- 
rechts auferlegt. Nach der neuesten Bayer. Gemeindeordnung beispielsweise ist be- 
fähigt zur Erwerbung des Bürgerrechts jeder volljährige und selbständige, in der 
Gemeinde besteuerte Einwohner; einen Anspruch auf Verleihung hat jeder Be- 
fähigte, welcher in der Gemeinde entweder das Heimathsrecht besitzt oder 2 Jahre 
gewohnt und Steuern bezahlt hat, wenn er nicht innerhalb dieser Zeit Armen- 
unterstützung nachgesucht oder empfangen hat oder bestimmte Unwürdigkeitsgründe 
vorliegen; verpflichtet endlich zur Erwerbung des Bürgerrechts ist jeder dazu 
Befähigte, welcher seit 5 Jahren in der Gemeinde wohnt und zu einem bestimmten 
Steuersatz in einem jährlichen Minimalbetrage veranlagt gewesen ist. Aehnlich sind die 
Bestimmungen der Sächs. Gemeindegesetzgebung v. 1873 (Städteordn. §§ 14—24), der 
Hess. Gemeindegesetzgebung (Städeordn. Art. 8, 67 ff., Landgemeindeordn. Art. 7, 55 ff.) 
u. s. w. Andere Gemeindeordnungen verpflichten die Gemeinde zur Aufnahme, wenn 
außer der Selbständigkeit und dem guten Leumund ein genügender Nahrungszweig oder 
ein bestimmtes Vermögen nachgewiesen wird. Die Aufnahme erfolgt durch die 
Gemeindeverwaltungsbehörde, es pflegt indeß in gewissen Fällen die Zustimmung 
der Gesammtheit oder ihres Ausschusses verlangt zu werden. Die Gemeinde kann 
von dem neuen Bürger in der Regel ein Bürgerrechtsgeld, für das aber ein gesetz- 
liches Maximum festgesetzt zu werden pflegt, als Aufnahmegebühr fordern. Nach 
manchen Gemeindeordnungen (z. B. Hannover, Sachsen, ebenso Preuß. Städteordn. 
von 1808) muß ein Bürgereid oder doch ein Handgelöbniß geleistet werden. Endlich 
ist überall das Staatsindigenat entweder Voraussetzung des Gemeindebürgerrechts oder 
wird mit diesem zugleich erlangt. 
Inhalt des Gemeindebürgerrechts ist vor Allem die aktive Betheiligung am Ge- 
meindeleben, mithin Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten, aktives und passives Wahl- 
recht, sowie Fähigkeit und Pflicht zur Annahme und Verwaltung von Gemeindeämtern. 
Die meisten Gemeindeordnungen, am Prinzip der Ortsbürgergemeinde festhaltend, be- 
trachten diese Befugnisse und Pflichten als Ausfluß des Bürgerrechts und führen nur 
zum Theil durch ein Klassenwahlsystem oder andere Bevorzugungen der Hoöchst- 
besteuerten oder Meistbegüterten Abstufungen herbei. Andere Gemeindeordnungen 
(3.B. Preuß. Städteordn, von 1808, Hannov. Städteordn. und Landgemeindeordn., 
Oesterr. Gemeindeges.) kennen ein ruhendes Bürgerrecht, indem sie außer dem Bürger- 
recht Grundbesitz oder einen bestimmten Cenfus für die wirkliche Ausübung der 
in ihm enthaltenen öffentlichen Rechte fordern. Diejenigen Gemeindeordnungen endlich, 
welche das Bürgerrecht ohne besondere Verleihung entstehen lassen und den Gedanken 
eines korporativen Bürgerverbandes mehr oder minder fallen lassen, knüpfen das 
Stimmrecht unmittelbar an das Vorhandensein gewisser gesetzlicher Voraussetzungen 
und nennen dann eben dieses Stimmrecht „Bürgerrecht"“. Je mehr die Gemeinde- 
ordnungen dahin neigen, den Grundbesitz oder ein bestimmtes Steuerkapital direkt 
als Basis des politischen Rechts in der Gemeinde zu betrachten, in desto weiterem 
Umfange lassen sie Forensen und juristische Personen wegen ihres im Gemeindebezirk 
belegenen Vermögens zu, und gestatten den persönlich Stimmunfähigen oder Ab-
	        
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