Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Gemeindebürgerrecht, Gemeindeverfassung. 61 
neben einem rein obrigkeitlichen Ortsvorstande, wie nach der Landgemeindeverfassung 
in den östlichen Preuß. Provinzen, Hannover, Schleswig-Holstein, Westfalen (für 
ganz kleine Gemeinden), Königreich Sachsen ꝛc., — als neben einem zugleich ver- 
waltenden und vertretenden Gemeinderath, wie in den Städten und Landgemeinden 
der Bayer. Pfalz und Kurhessens, oder Gemeindeausschuß, wie in den Bayer. 
Landgemeinden, — als endlich für einzelne Entscheidungen neben einem wahren 
Vertretungskörper, wie in den kleinen Badischen Gemeinden. Die Regel dagegen in 
allen oder doch den größeren Städten und vielfach auch in den Landgemeinden bildet 
es, daß die Gesammtheit auf die einzige Funktion der Wahl von Vertretern be- 
schränkt ist, welche zu einem in jeder Beziehung ihre Stelle einnehmenden Repräsen- 
tativausschuß zusammentreten. 
3) Der Repräsentativausschuß der Gemeinde wird von sämmtlichen 
Stimmberechtigten nach sehr verschiedenen Wahlsystemen periodisch gewählt. Seine 
Stellung ist besonders dadurch ungleich gestaltet, daß nach manchen Gemeinde- 
ordnungen sich in ihm Verwaltungs= und Vertretungsfunktionen verbinden, während 
er bei dem eigentlich Deutschen System scharf von der Gemeindeverwaltungsbehörde 
gesondert wird. Das Erstere ist besonders in Westdeutschland der Fall. So ist 
der Gemeinderath in der Pfalz, der aus Bürgermeister, Beigeordneten und Gemeinde- 
rath bestehende Gemeindevorstand im Groß. Hessen, der Gemeindeausschuß in den 
Bayerschen, Gothaischen, Sächsischen Landgemeinden ein zugleich verwaltendes und ver- 
tretendes Gemeindeorgan; und dieselbe Stellung nimmt neben einem Einzelvorsteher 
der Gemeinderath, resp. Stadtrath in Kurhessen, der Gemeinderath in Nassau, der 
Gemeinderath oder Schöffenrath und, wo nicht die Kollegialverfassung auf Antrag 
der Stadt selbst eingeführt ist, auch die Stadtverordnetenversammlung in der Rhein- 
provinz ein. In der Mehrzahl der Deutschen Provinzen indeß ist einem rein ver- 
waltenden Vorstande gegenüber ein völlig von ihm getrennter rein repräsentativer 
Körper unter dem Namen der Stadtverordneten, Bürgervorsteher, Gemeindebevoll- 
mächtigten, des Bürgerausschusses oder Gemeindeausschusses gebildet. So in den 
östlichen Provinzen Preußens, in Westfalen, Hannover, Schleswig-Holstein, in Bayern, 
Oesterreich, Württemberg, Baden, Königreich Sachsen, Braunschweig und den meisten 
kleineren Staaten für alle Städte und theils für alle theils wenigstens für die ein 
Bedürfniß aufweisenden Landgemeinden. Bisweilen ist dem Ortsstatut die Wahl 
zwischen der Verfassung mit getrennten Verwaltungs= und Vertretungskörpern und 
zwischen der Verfassung mit einheitlichem Gemeinderath überlassen. So kann in 
den Sächsischen Städten statt der regelmäßigen Verfassung mit „Stadtrath“ und 
„Stadtverordneten“ durch Ortsstatut die Verfassung mit zusammengefaßtem „Stadt- 
gemeinderath“ eingeführt werden (Städteordn, von 1873 §§ 37—130). Die Funk- 
tionen eines solchen Repräsentativausschusses erstrecken sich auf Vertretung der Ge- 
sammtheit gegen die Ortsobrigkeit, Ueberwachung derselben, Bewilligung und Zu- 
stimmung in den gesetzlich bestimmten Fällen. Dabei finden bezüglich der ganzen 
Stellung und Kompetenz der Versammlung sowol dem Ortsvorstande als den 
Wählern gegenüber im Ganzen dieselben Gedanken ihre Verwirklichung, welche dem 
staatlichen Repräsentativsystem zu Grunde liegen. Die Staatsbehörde hat regel- 
mäßig das Recht der Auflösung und Ausschreibung von Neuwahlen. 
4) Vollendet wird die Organisation der Gemeinde durch eine Reihe einzelner 
Aemter, welche theils an ständige oder vorübergehende Kommissionen und Depu- 
tationen der regelmäßigen Organe, namentlich auch an gemischte, aus Magistrat 
und Stadtverordneten zusammengesetzte Verwaltungsdeputationen, theils an besondere 
besoldete Fachbeamte, theils an bloße Angestellte und Diener gegeben werden. In 
großen Städten sind von besonderer Wichtigkeit die Bezirksvorsteher, welche indeß 
bisher lediglich als Magistratsbeamte behandelt werden und denen eine selbständige 
Organisation der Stadtbezirke, wie sie als Gegengewicht gegen die großstädtische 
Centralisation erforderlich wäre, nirgend bisher zur Seite steht.
	        
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