Leibgedinge. 651
Allgemeinen sei das Sache freier Vereinbarung und nur soweit ein öffentliches
Interesse sich daran knüpft, könne und solle der Gesetzgeber eingreifen; auch hier ist
wieder eine Prämie für den schriftlichen Lehrvertrag vorgesehen. Dabei hat das
Gesetz übrigens sogar einen Normalsatz für die Entschädigung des aufgelösten Lehr-
vertrages ausgestellt; derselbe soll sich für jeden auf den Tag des Vertragsbruches
folgenden Tag der Lehrzeit, höchstens aber für sechs Monate bis auf die Hälfte des
in dem Gewerbe des Lehrherrn den Gesellen oder Gehülfen ortsüblich bezahlten
Lohnes belaufen dürfen. Aehnlich wie beim Kontraktbruch des Arbeiters sind auch
hier der Vater des Lehrlings sowie derjenige Arbeitgeber, welcher den Lehrling
zum Verlassen der Lehre verleitet oder welcher ihn in Arbeit genommen hat, obwol
er wußte, daß der Lehrling zur Fortsetzung eines Lehrverhältnisses noch verpflichtet
war, haftbar; diese Haft erlischt schon nach vier Wochen. Endlich sind jetzt auch
Lehrzeugnisse obligatorisch, damit künftig jeder, der Gesellen nimmt, wisse, wen
er annahm. Diese Zeugnisse haben die Gemeinden kosten= und stempelfrei zu be-
glaubigen, wo übrigens Innungen und andere Vertretungen von Gewervetreibenden
bestehen, können die von diesen ausgestellten Lehrbriefe an Stelle der Zeugnisse treten,
nebenbei bemerkt der einzige Moment, wo der Gesetzgeber den Innungen einen
gewissen Einfluß ausdrücklich einräumt. Landgraf.
Leibgedinge (auch Leibzucht) ist die während des Mittelalters vorkommende
Bestellung eines Nutzungsrechtes für die Ehefrau auf Lebenszeit an gewissen Im-
mobilien (mitunter auch am gegenwärtigen und zukünftigen Vermögen des Mannes)
seitens des letzteren, dessen Ausübung aber bis zur Auflösung der Ehe durch den
Tod des Bestellers suspendirt blieb. Für die Zwischenzeit war die Frau vielfach
durch die Bestimmung gesichert, daß der Mann die L.güter nicht ohne ihre Ein-
willigung veräußern durfte. Das L. konnte als reine Wittwenversorgung (als
Witthum im eigentlichen Sinne) vorkommen, d. h. mit der Verrückung des Wittwen-
stuhles aufhören oder es konnte auch die Natur einer Versorgung der Frau nach
dem Tode des Mannes auf ihre Lebenszeit haben (L. im engeren Sinne), so daß
eine spätere Verheirathung der Frau auf ihr Recht keinen Einfluß äußerte. Das
letztere war im Mittelalter die Regel. Später ist das L. vielfach durch Erweiterung der
Erbrechte der Ehefrauen oder Bestellung anderer Rechte zu ihren Gunsten verdrängt
worden. Möglich ist allerdings ein solches Rechtsverhältniß noch heute. Während
das Oesterr. BGB. des L. nicht erwähnt, erklärt das Preuß. LR. dasselbe gemäß
dem früheren Rechte für einen der Frau vom Mann auf seinen Todesfall aus-
gesetzten Nießbrauch an gewissen Gütern und Kapitalien, läßt denselben aber mit der
Wiederverheirathung der Frau erlöschen (Th. II. Tit. 1 8§ 456, 457 ff., 471). Das
Sächs. BGB. § 1703 versteht dagegen unter L. die der Ehefrau auf den Todesfall
ihres Mannes zu ihrem Unterhalt ausgesetzten Vortheile, welche es nach den Regeln
vom Leibrenten-Vertrage beurtheilt wissen will und gleichfalls durch Eingehung einer
weiteren Ehe zusammenfallen läßt. — Unter Vermischung des Rechts der Widerlage
und der Leibzucht, sowie unter Einwirkung der Römischen donatio propter nuptias ent-
stand in Sachsen ein eigenthümliches, allerdings durch das Mandat vom 31. Jan.
1829 §§ 99, 101 beseitigtes Institut, welches als (Sächsisches) L. (dotalitium) be-
zeichnet worden ist und auch in anderen Ländern des Sächsischen Rechts Eingang
gefunden hat. Die adelige Wittwe konnte nämlich unter der Voraussetzung, daß sie
ein Heirathsgut eingebracht hatte, statt der Rücknahme desselben doppelte Verzinfung
(10 Proz.) und bei einem ihr bestellten Gegenvermächtniß für den Fall der Zurück-
lassung des letzteren, vierfache Verzinsung (also 20 Proz.) aus den Gütern des
Mannes fordern. Da dieses Recht titulo oneroso erworben war, ging es durch eine
anderweite Verheirathung nicht verloren. — Endlich wird auch unter L., dann
gleichbedeutend mit Leibzuchtsvertrag oder contractus vitalitius, der Vertrag ver-
standen, wodurch gegen Hingabe eines Werthsobjekts an einen Dritten gegen diesen