70 Gemeingefährliche Verbrechen.
diesen dann bei der Gruppirung der strafbaren Handlungen zu benutzen. Da der-
artige Versuche der Begriffsbestimmung sehr verschieden ausfielen, ist es auch nicht
zu verwundern, daß sehr verschiedene Verbrechen unter dem obigen Gesichtspunkte
erschienen. In den Strafgesetzbüchern findet sich entweder eine besondere Rubrik für
die g. V. oder die Gemeingefährlichkeit ist bei einigen Verbrechen als straferhöhendes
Moment berücksichtigt, theils besonders genannt, theils aus der Höhe der festgesetzten
Strafe zu entnehmen. Gemeingefährliche Handlungen werden zuerst im Allg. LN.
II. 20 §8§ 1195—1577 zusammengestellt, und zwar folgende: die sehr weit gefaßte
Landesbeschädigung, verursachter Mangel an Lebenemitteln, Verbreitung von Bieh-
seuchen, Vergiftung von Weiden rc., Landzwang, Brandstiftung und Ueberschwemmung.
Einen solchen Gattungsbegriff enthalten die Strafgesetzbücher für Preußen, Bayern,
Sachsen, Thüringen, Lübeck, Ungarn, Zürich, Basel-Stadt u. a., die jedoch hinsichtlich
der als gemeingefährlich zu bezeichnenden Handlungen sowol vom Allg. LR., als
auch unter sich vielfach abweichen. In anderen Strafgesetzbüchern, z. B. im Fran-
zösischen, Belgischen, Oesterreichischen und in einigen Deutschen, hat man für die
g. V. keine besondere Rubrik gewählt.
Das Deutsche Straf GB. stimmt mit dem Preuß. darin überein, daß es den
Gattungsbegriff nicht glaubte entbehren zu können, weicht aber sonst in einzelnen
Bestimmungen von demselben ab; vgl. bes. §§ 306, 310, 319. Die Gemeingefähr-
lichkeit ist in dem 27. Abschnitte des Straf GB. nicht gleichmäßig normirt; bald wird
sie gar nicht erwähnt, wie bei der Brandstiftung, Telegraphenbeschädigung, Verletzung.
der Absperrungsmaßregeln und Nichterfüllung der Lieferungsverträge; bald finden
sich sehr verschiedene Ausdrücke, z. B. Gefahr für Menschenleben, G. für Eigenthum,
G. für die Gesundheit oder auch ganz allgemein G. für Andere. Der Gleichmäßig-
keit wegen hätte in § 314 statt G. für Leben, G. für Menschenleben (wie in
§ 312) und in § 323 statt G. für das Leben eines Anderen, G. für das Leben
Anderer (wie in § 321), oder umgekehrt, gesagt werden müssen, da die betreffenden
Ausdrücke nichts Verschiedenes bezeichnen sollen und es stets vorzuziehen ist, im Gesetze
Gleiches durch den gleichen Ausdruck anzudeuten. Abgesehen von dem 27. Abschnitte,
der ausschließlich den g. V. gewidmet ist, findet sich der Begriff der Gemeingefähr-
lichkeit noch an zwei Stellen im Reichsstrafrecht. Nach § 366 Z. 2 des Straf G.
wird bestraft, wer auf öffentlichen Straßen oder Plätzen der Städte oder Dörfer
mit gemeiner Gefahr Pferde einfährt oder zureitet. Und außerdem ist zu erwähnen
das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21.
Okt. 1878.
Der Gattungsbegriff g. V. ist für die Erklärung der zu ihm gehörenden strafbaren
Handlungen wenig oder gar nicht zu verwerthen und erscheint im Straf G. lediglich als
Hülfsmittel der Systematisirung. Bei dieser Sachlage läßt sich auch nicht angeben,
wann g. V. als vollendet anzusehen sind. In der Mehrzahl der Fälle wird als
Vollendungsmoment der Eintritt der konkreten Gefahr gelten, wie denn auch bei
der Mehrzahl ein weiterer Erfolg (Körperverletzung, Tödtung) als Strasschärfungs-
grund berücksichtigt ist. Nicht hierdurch allein, sondern auch durch den Umstand,
daß im Straf GB. bei der Mehrzahl der g. V. sowol die vorsätzliche als fahrlässige
Begehung (ausgenommen §§ 327, 328) mit Strafe bedroht find, sind zahlreiche
Kontroversen über die Zurechnung des Erfolges, mit welchen sich die frühere Doktrin
vielfach beschäftigte, beseitigt oder erheblich vereinfacht.
Im Deutschen Straf GB. sind folgende strafbare Handlungen als gemein-
gefährliche aufgestellt worden:
1) Brandstiftung, .... ..
neterschwemmung. bierüber vgl. diese Art.
3) Eisenbahn= und Telegraphenbeschädigung (88 315—320).
Die erstere besteht in der vorsätzlichen oder fahrlässigen Gefährdung
eines Transportes durch Beschädigung der Eisenbahnanlagen, Beförderungsmittel oder