Miethssteuer. 753
viel wichtigere Realbesteuerung des Grundbesitzes für Gemeindezwecke.
Als das Bedürfniß von Geldbeiträgen und Leistungen für Armenzwecke hervortrat
und (wie gleichzeitig in Deutschland) als eine Last der Ortsgemeinde behandelt
wurde, legte die Gesetzgebung der Reformationszeit unter Heinrich VIII. die Armen-
last den Kirchspielen auf, und zwar als eine Pflicht eines jeden christlichen Haus-
standes, die von den Bischöfen eingeschärft und anfangs durch die Geistlichkeit er-
hoben werden sollte. Da sich dies nicht wirksam erwies, wurden neben den Kirchen-
vorstehern besondere Armenpfleger in jedem Kirchspiel bestellt und die Armenpflege
unter die Aussicht der königlichen Friedensrichter gestellt. Das abschließende Armen-
gesetz 43 Eliz. c. II. § 1 bestimmt nun: es soll dazu eingeschätzt werden jeder
Einwohner, geistlichen oder weltlichen Standes, und jeder nutzende Inhaber (occu-
pier) von Ländereien, Gebäuden, Zehnten, Kohlenbergwerken im Kirchspiel. Die
Auslegung der Gerichte verstand dies von jedem sichtbaren, ertragsfähigen Eigenthum
im Kirchspiel, als eine Realsteuer von allen Liegenschaften im Gemeindebezirk, die
zwar nicht als Reallast am Boden haftet, wol aber von jeder Person von wegen
dieses Besitzes zahlbar ist. Bei der überaus weiten Ausdehnung der Mieths= und
Pachtverhältnisse in England erscheint nun als der Abgabenpflichtige an erster
Stelle der Miether von Gebäuden, der Pächter von Ländereien; der Grundeigen-
thümer nur, wenn er das Grundstück selbst in Besitz und Nutzung hat. Als nun
im Verlauf der Zeit durch mehr als 100 Gesetze den Gemeinden immer neue Kom-
munallasten zu bestimmt bezeichneten Zwecken auferlegt wurden, wurde regelmäßig
dies Steuersystem gleichmäßig fortgesetzt und bildet bis heute die normale Kommunal=
besteuerung für Stadt und Land. Unter Festhaltung des Grundsatzes, daß der Ge-
meindeverband am Boden haftet, hat die Englische Gesetzgebung jede Art von Ein-
kommensteuer und in der Regel auch jede Art von indirekten Steuern den Gemeinden
versagt, Zölle, Verbrauchs= und Einkommensteuern ausschließlich dem Staat vor-
behalten, so daß nun die Gemeindebedürfnisse in ihrer gegenwärtig hoch gesteigerten
Gestalt, einschließlich der neuerdings hinzugekommenen ansehnlichen Kosten des Volks-
schulwesens, als Liegenschaftssteuer aufgebracht werden müssen, in einem Gesammt-
betrag von jetzt mehr als 14 000000 K. Es findet zu dem Zweck eine jährlich
erneute Einschätzung durch die Beamten des Kirchspiels statt, unter Kontrole
der Friedensrichter, die in ihren kollegialischen Versammlungen als Verwaltungs-
gerichte über die Steuerreklamationen entscheiden. In den Städten und in den
Ortschaften, in welchen die Wohnhäuser überwiegend den Liegenschaftsbesitz darstellen,
erscheint nur als normale Gemeindesteuer eine M., erhoben nach dem aktuellen
Werth, „zu welchem das Grundstück vermiethet werden kann"“. Fabrikanlagen,
Bergwerke rc. werden eingeschätzt zu dem erhöhten Ertragswerth, den das Grundstück
einschließlich der damit dauernd verbundenen Maschinen und Anlagen (improved
value) ergiebt. Bei dem starken Anwachsen der städtischen Bevölkerung in Eng-
land hat sich gegenwärtig ein Gleichgewicht hergestellt, in Folge dessen die M. in
den Städten und die nach dem Pachtwerth erhobene Gemeindesteuer von Ländereien
ungefähr gleich große Steuersummen für die Kommunalbedürfnisse der Orts= und
Kreisverbände aufbringen. Es wird dabei der Grundsatz befolgt, daß für die beson-
deren städtischen Bedürfnisse die Ackergrundstücke im Gemeindebezirk nur zu ein Viertel
ihres Pachtwerthes eingeschätzt werden.
In Frankreich hatte man unter Nachwirkung des herrschenden physiokratischen
Systems beim Beginn der Revolution die Grundidee verfolgt, den ganzen Bedarf
des Staats an direkten Steuern auf den Grundbesitz zu legen. Nach dem Gesetz
vom 23. Nov. und 1. Dez. 1790 soll diese Steuer nach dem durchschnittlichen
reinen Grundertrage — nach Maßgabe von Bodenbeschaffenheit und Kulturart unter
Abzug der Bewirthschaftungskosten — erhoben werden. Bei städtischen und durch
Vermiethung benutzten Gebäuden soll der Miethswerth nach Abrechnung von 25
Prozent für Abnutzung, Reparaturen und Unterhaltungskosten maßgebend sein. Zu
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon II. 3. Aufl. 48