Militärpflicht. 761
Die Offiziere der Reserve können während der Dauer des Reserveverhältnisses dreimal
zu vier= bis achtwöchentlichen Uebungen herangezogen werden. Die Offiziere der
Landwehr sind zu Uebungen bei Linientruppentheilen allein behufs Darlegung ihrer
Oualifikation zur Weiterbeförderung, im Uebrigen aber nur zu den gewöhnlichen
Uebungen der Landwehr heranzuziehen. Im Kriege können auch die Offiziere der
Landwehr erforderlichen Falls bei Truppen des stehenden Heeres verwandt werden.
Die beurlaubten Mannschaften des Heeres (Reserve, Landwehr) sind während
der Beurlaubung den zur Ausübung der militärischen Kontrole erforderlichen An-
ordnungen unterworfen; im Uebrigen gelten für sie, sowie für die übungspflichtigen
Ersatzreservisten die allgemeinen Landesgesetze, auch sollen dieselben in der Wahl ihres
Aufenthaltes im In= und Auslande, in der Ausübung ihres Gewerbes, rücksichtlich
ihrer Verheirathung und ihrer sonstigen bürgerlichen Verhältnisse Beschränkungen nicht
unterworfen sein; insbesondere darf den reserve-, ersatzreserve= und landwehrpflichtigen
Mannschaften in der Zeit, in welcher sie nicht zum aktiven Dienst einberufen sind,
die Erlaubniß zur Auswanderung nicht verweigert werden.
Die Verhältnisse des Landsturmes regelt gegenwärtig das RGes. vom 12. Febr.
1875. Der Landsturm besteht danach aus allen Wehrpflichtigen vom vollendeten
17. bis zum vollendeten 42. Lebensjahre, welche weder dem Heere noch der Marine
angehören; er tritt nur zusammen, wenn ein feindlicher Einfall Theile des Reichs-
gebietes bedroht oder überzieht. Das Aufgebot erfolgt durch Kaiserliche Verordnung,
in welcher zugleich der Umfang des Aufgebotes bestimmt wird. Der aufgebotene
Landsturm ist allen für die Landwehr geltenden Vorschriften, insbesondere den Militär-
strafgesetzen und der Disziplinarordnung unterworfen, und erhält bei Verwendung
gegen den Feind militärische, auf Schußweite erkennbare Abzeichen. Unter gewissen
Voraussetzungen kann der Landsturm zur Ergänzung der Landwehr benutzt werden.
Die Friedenspräsenzstärke des Heeres an Unteroffizieren und Mannschaften be-
trug nach Art. 60 der Verfassung des Norddeutschen Bundes bis zum 31. Dezember
1871 401 659 Mann, d. h. 1 Proz. der Bevölkerung von 1867; dieser Präsenzstand
ist dann durch das Gesetz vom 9. Dezember 1871 bis zum Ablauf des Jahres 1874
und durch das Militärgesetz vom 2. Mai 1874 nochmals bis zum Ablauf des Jahres
1881 verlängert, durch das Gesetz vom 6. Mai 1880 aber für die Zeit vom 1. April
1881 bis 31. März 1888 auf 427274 Mann erhöht.
Ueber die Kriegsdienstpflicht in der Marine (Flotte und Seewehr) val. d. Art.
Marine.
Lit.: Zur Geschichte: v. Bassewitz, Kurmark, I. 286 ff.; IV. 550 ff. — Jahrbücher
der Preuß. Monarchie, Jahrg. 1798, Bd. III. — Dohm, Denkwürdigkeiten, Bd. IV. 298 ff. —
Dorow, Denkschriften, Bd. V. 296 ff. — de l' Homme de Courbieère, Geschichte der
brandenburgisch-preußischen Heeresverfassung, Berl. 1852. — v. Gordon, Allgemeiner Ueber-
blick über den historischen Entwickelungsgang des Preuß. Heerwesens (v. Meyer, Archiv für
Landeskunde, Bd. III. 1856!1 S. 1—77). — v. Reinhard, Ueber die Bedeutung der all-
gemeinen Wehrpflicht (a. a. O. Bd. IV. [1856] S. 206 ff.). — Schmoller, Die Entstehung
des preußischen Heeres (Deutsche Rundschau Nhrg, 1877). — v. Treitschke, Deutsche Ge-
schichte, Bd. I. (1879). — Vom allgemeinen und volkswirthschaftlichen Standpunkte: Faucher,
Zur Frage der besten Heeresverfassung (V.J. Schr. für Volkswirthschaft und Kulturgeschichte, Bd.
V. [1864] S. 111 ff.). — Neumann, Die Volkswirthschaftslehre in Anwendung auf Heer-
wesen und Militärverwaltung, Wien 1873. — Rau-Wagner, Finanzwissenschaft, 7. Aufl.,
1877, Th. I. S. 244 ff. — Julius v. Hartmann, Die allgemeine Wehrpflicht (Zeitfragen
des christl. Volkslebens, Jahrg. I. hth Heft 4). — Rechtsphilosophie: v. Stein, Die Lehre
vom Heerwesen als Theil der Staatswissenschaft, Stuttg. 1872. — Vom Standpunkte ver-
gleichender Rechtswissenschaft: Gneist, Verwaltung, Justiz, Rechtsweg 2c., Berl. 1869.
S. 220 ff. — Jamme, La loi belge sur le recrutement (Revue de droit intern., I. (1889)
550; die Absicht der Redaktion, mit solchen Darstellungen fortzufahren, ist bisher nicht zur
Musführung gekommen). — Positivrechtlich: Die Militärgesetze des Deutschen Reiches, 2 Bde.,
Berlin 1877—1878. — v. Walther, Die Militärgesetze des Deutschen Reiches, Berl. 1880.—
v. Rönne, Das Staatsrecht der Preuß. Monarchie, 3. Aufl. 1869, Bd. I. Abth. 2 S. 226 ff.
Derselbe, Das Verfassungsrecht des Deutschen Reiches, 2. Aufl. 1877, Bd. II. Abth. 2
S. 192 ff. — Seydel, Das Kriegswesen des Deutschen Reichs (Hirth, Annalen, 1874 S. 1035 ff.;