Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

84 Genossenschaften. 
schaffen. Indem an die Stelle der abgelebten Vereinsformen neue, lebensvollere G. 
treten, welche die auseinandergesprengten und in ihrer Isolirung ohnmächtigen 
Wirthschaftsatome zu potenzirter Gesammtkraft zusammenschließen, ist damit, wie 
wir hoffen, der Weg angedentet, auf dem die Zukunft einem Theile der als „soziale 
Frage“ zusammengefaßten Gefahren begegnen wird, welche die einseitig kapitalistische 
Wirthschaftsentwicklung unserer Zeit in ihrem Schoße birgt. In ihrer genossen- 
schaftlichen Vereinigung, aber auch nur in dieser, vermögen die kleineren Handwerker 
und Gewerbtreibenden der erdrückenden und verzehrenden Konkurrenz des Großbe- 
triebes Stand zu halten; die Assoziation allein vermag auf die Länge dem länd- 
lichen Kleinbesitz seine Selbständigkeit neben der Großgrundwirthschaft zu verbürgen; 
und in ihren letzten Zielen strebt die Genossenschaftsbewegung nichts Geringeres an, 
als auch die heute unselbständigen und an den modernen Erwerbsunternehmungen 
nur in der Form des Lohnes betheiligten Arbeiter zu selbständigen Trägern genossen- 
schaftlicher Unternehmungen zu erheben. 
Diese sog. Genossenschaftsbewegung, von den Engländern und Franzosen Koo- 
perativbewegung (cooperative movement, coopération) genannt, hat sich überall in 
verschiedenen Stufen vollzogen. Als Vorstufe der eigentlichen G. sind die Arbeiter- 
vereine für politische, soziale und sittliche Zwecke zu betrachten, von denen vor Allem 
die Bildungs-G. indirekt auf die wirthschaftliche Stellung der Betheiligten zurück- 
wirken, die G. für Interessenvertretung aber namentlich als Gewerkschaften 
(engl. trade-unions) durch die Organisation von Koalition, Arbeitseinstellungen und 
Ausgleichen eine wirthschaftliche Macht geworden sind. Doch ist die Bedeutung 
dieser Vereinigungen für das wirthschaftliche Leben zunächst nur eine indirekte oder 
negative: eine positiv schöpferische Kraft als Wirthschaftsgenossenschaft entfaltet die 
Assoziation der arbeitenden Klassen zuerst in mannigfachen Formen der G. für 
gegenseitige Unterstützung, wobei die vereinigte Gesammtheit die Tragung der 
Gefahr einzelner den Mitgliedern drohender wirthschaftlicher Unfälle übernimmt. 
Zu diesen G., welche besonders in England als friendly societies eine hohe Blüthe 
erreicht haben, in Deutschland dagegen zum Theil durch Zwangsunterstützungskassen, 
Knappschaften rc. ersetzt werden und auch in Frankreich als sociétés de secours 
mutuel einen staatsanstaltlichen Charakter haben, gehören alle auf Gegenseitigkeit 
basirten Kranken-, Invaliden-, Sterbe-, Wittwen-, Altersversorgungs= und Hilfs- 
kassen, sowie die kleinen Versicherungs= und Garantievereine der hier in Betracht 
kommenden Klassen. In Deutschland ist jetzt durch Reichsgesetz vom 7. April 1876 
die Form der „eingeschriebenen Hülfskassen“ geschaffen, um sowol freien Vereinen 
für gegenseitige Krankenunterstützung unter gewissen Normativbedingungen die Er- 
langung der juristischen Persönlichkeit zu ermöglichen, als auch die dem Ortsstatut 
überlassene Einführung des Beitrittszwanges zu derartigen Verbänden zu reguliren. 
Eine weitere Stufe erreicht die G. in der besonders in Deutschland entwickelten 
Form der Kredit= und Vorschuß-G., welche ihren Mitgliedern die Beschaffung 
des für jeden Betrieb unentbehrlichen Kapitals dadurch zu erleichtern suchen, daß sie 
auf Grundlage der solidarischen Verhaftung Aller eine Summe an sich ohnmächtiger 
Einzelkredite zu einem lebensfähigen Gesammtkredit verbinden. Aus dem vermöge 
dieser Kreditmacht gebildeten Betriebskapital gewähren dann diese Vereine ihren Mit- 
gliedern mit Rücksicht auf deren perfönliche Kreditwürdigkeit oder die von ihnen be- 
stellte Sicherheit entgeltliche Vorschüsse auf bestimmte Fristen. Daneben übernehmen 
derartige G. auch in anderer Beziehung die Rolle eines Bankiers ihrer Genossen, 
eröffnen denselben laufende Konten, nehmen Depositen an, vermitteln die Sparan- 
lage und charakterisiren sich überhaupt als wahre „Volksbanken“. Unmittelbarer 
noch auf die Wirthschaft der Verbundenen wirkt die Assoziation auf einer dritten 
Stufe ein, welche sich als wirthschaftliche Distributivgenosfsenschaft bezeichnen 
läßt, indem dabei bestimmte laufende Bedürfnisse der Einzelwirthschaft auf die Ge-
	        
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