Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Opportunitätsprinzip. 953 
eines Komment. zum Preuß. Berggesetz, Berl. 1870). — Die Peeuß. Gesetze über das mündliche 
und öffentliche Verfahren in Strafsachen, Berl. 1860. — Er gab die ersten 16 Bände der 
Rechtsprechung des Kgl. OTrib. in Strafsachen, Berl. 1861—1875, heraus, (weitere vier (bis 
1880] die Generalstaatsanwaltschaft). — Einzelne seiner trefflichen Konklusionen stehen in 
Striethorst, Archiv, Bd. 38 S. 16 ff. und Brassert-Achenbach, Zeitschr. für Bergrecht 
Bd. 12 S. 182—184. 
Lit.: Berner, Strafgesetzgebung, Leipz. 1867, S. 271, 272; Derselbe, Strafrecht, (11) 
1881, S. 109. — Meyer, Lehrb. des Deutschen Strafrechts, (2) 1877 S. 94. — Sonnen- 
schmidt, Geschichte des Kgl. OTrib., Berl. 1879, S. 310, 366. — Preuß. Staatsanzeiger 
Nr. 296 vom 16. Dez. 1875. — Germania 1875 Nr. 287. Teichmann. 
Opportunitätsprinzip. Der herkömmliche Gegensatz zwischen absoluten und 
relativen Straftheorien ergreift den Strafprozeß und die Organisation der Straf- 
verfolgungsbehörden insoweit, als den Nützlichkeitstheorien das sog. O. den absoluten 
Theorien das sog. Legalitätsprinzip in der Strafverfolgung entspricht. Seit 
der nach Französischem Muster geschehenen Einführung der Staatsanwaltschaft ist 
insbesondere in Deutschland die Frage erörtert worden, ob bei der Erhebung von 
Anklagen die Pflicht, den Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen, allein maßgebend 
sein soll, oder außerdem — in Gemäßheit des O. auch der öffentliche Nutzen oder 
das öffentliche Interesse zu Rathe zu ziehen sei. Der Französische Prozeß, der dem 
Beschädigten gestattet, in selbständiger Weise seine Entschädigungsansprüche vor dem 
Strafrichter geltend zu machen, unterscheidet mit der action civile und der action 
publique auch das Privatinteresse im Gegensatz zum öffentlichen Interesse, 
dessen Repräsentant das ministere public sein soll. Grundsätzlich ist außerdem 
zu untersuchen, ob die Strafverfolgung ihrer Natur nach als verwaltungsrechtliche 
Angelegenheit (Gneist, Glaser) oder strafrechtliche Funktion (v. Schwarze, 
v. Holtzendorff) zu üben ist. Es dürfte fehlerhaft sein, deswegen, weil die 
Staatsanwaltschaft als Verwaltungsbehörde fungirt, anzunehmen, daß die Straf- 
verfolgung als Zweckmäßigkeitsangelegenheit zu betreiben sei. Begriffsmäßig verletzt 
jedes Verbrechen, als Angriff auf die Gesammtordnung der Gefellschaft, auch das sog. 
öffentliche Interesse. Wo durch Bestrafung im einzelnen Fall Nachtheile entstehen, 
mag Begnadigung, Antragsberechtigung, bedingte Strafloserklärung den ordentlichen 
Lauf des Rechtes hemmen, und es wäre eine schwere, das Rechtsleben schädigende 
Inkonsequenz, die abolitio specialis dem Souverän zu verbieten, andererseits aber 
vermöge des O. der Staatsanwaltschaft die Befugniß einzuräumen, aus Nützlich- 
keitserwägungen die Strafverfolgung zu unterlassen. Was öffentliches Interesse sei, 
läßt sich nicht einmal mit Bestimmtheit sagen oder definiren, so daß nicht nur die 
Anwendung, sondern selbst die Feststellung dieses Begriffes dem Ermessen abhängiger 
Verwaltungsbeamten zu überlassen wäre. Nur in negativer Richtung ließe sich sagen, 
daß das öffentliche Interesse gleichzeitig den Gegensatz gegen den Privatvortheil und 
andererseits auch gegen das bloße Parteiinteresse politischer Art oder gegen lokale, 
gesellschaftliche Interessen, zur Voraussetzung habe. Die Anhänger der O. gehen in 
doppelter Richtung auseinander, insofern sie entweder Alles dem Ermessen der Staats- 
anwaltschaft ausschließlich überlassen wollen (sog. Anklagemonopol) oder den 
der öffentlichen Ordnung schädlichen Unterlassungen der Behörde eine Korrektur durch 
subsidiäre Privatanklage im weitesten Umfange zur Seite stellen wollen (Gneist). 
Nach der Deutschen Straf PO. ist das Legalitätsprinzip als Regel aufsgestellt; die 
Staatsanwaltschaft ist, wo die gesetzlichen Bedingungen der Strafbarkeit (nach ihrer 
Ansicht) vorliegen, zum Einschreiten gegen die Schuldigen verpflichtet (§ 152). Aus- 
nahmsweise kommt aber auch das O. zur Geltung: nach der Bestimmung des § 416 
der RStraf P O. und vorzugsweise nach § 4 des Rötraf GB. bezüglich der im Aus- 
lande begangenen Reate, wobei namentlich die Verhältnißmäßigkeit des erhöhten 
Kostenaufwandes zu einer voraussichtlich nur geringen Strafe zur Erwägung steht. 
Da der § 152 der Rötraf PO. lediglich der Staatsanwaltschaft gedenkt, so 
kann bezweifelt werden, ob auch die Amtsanwaltschaft gehalten ist, dem Grundsatze
	        
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