Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Ordnungs= und Disziplinarstrafen. 967 
CPO. 8# 355, StrafP O. 869, gegen den ungehorsamen Editionspflichtigen in StrafP O. 
§ 95, gegen den den Offenbarungseid verweigernden Schuldner in CPO. 8§ 752, 
gegen den ungehorsamen Schiffsmann in § 29 der Seemannsordn. u. s. w. uns ent- 
gegentritt) verschieden durch den indirekten Weg, den sie einschlägt. Sie wendet 
sich gegen die Vergangenheit, um die Zukunft zu sichern; sie ist darum verwirkt, 
sobald der Ungehorsam zu Tage getreten ist, und entfällt nicht wie das Zwangs- 
mittel im engeren Sinne mit der Beugung des Trotzes. Während der Zwang an 
sich unbeschränkter Dauer bis zur Erreichung des Zieles fähig ist, gestattet die 
Zwangsstrafe an sich unbeschränkte Häufung der Einzelstrafen bis zum gleichen 
Zeitpunkte, und es bedarf positiv-rechtlicher Anordnung, um dort die Dauer, hier die 
Häufung zu beschränken, wenn Mittel und Zweck nicht mehr im richtigen Verhältnisse 
stehen würden. Aber häufig verschwimmt die Grenzlinie zwischen direktem Zwang 
und Zwangsstrafe. So ist nach der CPO. §774 der Schuldner zur Vornahme der 
ihm obliegenden Handlung „durch Geldstrafen bis zum Gesammtbetrage von 1500 Mark 
oder durch Haft anzuhalten“; die Geldstrafe ist hier sicher als Zwangsstrafe, die 
Haft wol als direktes Zwangemittel aufzufassen, und daher nach den Bestimmungen 
der CPO. §§ 785 ff. zu vollstrecken, während auf die Haft als Zwangsstrafe diese 
Paragraphen nie angewendet werden können. 
Von der eigentlichen Strafe aber unterscheidet sich die Zwangsstrafe durch das 
Ziel, das sie anstrebt. Sie bezweckt nicht wie jene Verhütung strafbarer Hand- 
lungen, sondern die Erzwingung einer konkreten Leistung. Eben darum sind die 
Grundsätze des Strafrechts und Strafprozeßrechts nicht ohne Weiteres auf sie anzu- 
wenden. Insbesondere gilt dies von der Umwandlung der uneinbringlichen Geld- 
strafe in Freiheitsstrafe; sie ist den O. gegenüber nur dann zulässig, wenn aus- 
drücklich angeordnet oder durch prinzipale Alternativdrohung von Geld= und 
Freiheitsstrafen stillschweigend gestattet, durch das Maximum der alternativ an- 
gedrohten Freiheitsstrafe begrenzt und von dem Umwandlungsmaßstab des Straf G. 
unabhängig. 
Als Beispiele für diese Gruppe der O. seien erwähnt: die O. zur Erzwingung 
der handelsrechtlichen Anmeldungspflicht (OGB. Art. 26, 45, 89, 129, 135, 
154 ff., 179, 212 u. s. w.); die O., durch welche der Vorstand und die Liquida- 
toren der Erwerbs= und Wirthschaftsgenossenschaften zur Befolgung gewisser Vor- 
schriften des Genossenschaftsgesetzes vom 4. Juni 1868 „anzuhalten“ sind (§ 66 
daselbst); die O. in § 33 des Hülfskassenges. vom 7. April 1876; die „exekutivischen 
Geldstrafen“ in § 40 des Tabaksteuerges. vom 16. Juli 1879 u. fs. w. 
2) Zur zweiten Gruppe der O. gehört eine Reihe von Strafen für gering- 
sügige Rechtsverletzungen, welche nach ausdrücklicher oder stillschweigender gesetzlicher 
Anordnung nicht als kriminelle Delikte betrachtet werden sollen, obwol sie be- 
grifflich mit diesen zusammenfallen. Der gesetzlichen Behandlung dieser Fälle kann 
der Vorwurf der Inkonsequenz umsoweniger erspart werden, als reichsrechtlich kein 
Unterschied zwischen Polizeidelikt und Verbrechen besteht, und die mit O. belegten 
Handlungen vielfach an Strafwürdigkeit die „Uebertretungen“ des Straf GB. weit 
überragen, wie ja auch die „O.“ in manchen Fällen die Schwere einer Vergehens- 
strafe im Sinne des Straf GB. § 1 erreicht (z. B. Brausteuerges. vom 31. Mai 
1872 § 35 u. a.). 
Die Grenzlinie zwischen beiden Gruppen der O. ist nicht immer leicht zu ziehen. 
Je mehr die Zulässigkeit gehäufter Zwangsstrafen gesetzlich beschränkt ist, desto mehr 
tritt an Stelle der zu erzwingenden Leistung die Ahndung der bereits vorliegenden 
Pflichtverletzung für den Gesetzgeber wie für den Betrachter in den Vordergrund, 
desto mehr also nähert sich die Zwangsstrafe der reinen Strafe, um endlich in der- 
selben aufzugehen. So ist es äußerst zweifelhaft, ob die Maßregelung des ungehor- 
samen Zeugen oder Sachverständigen, des pflichtweigernden Schöffen oder Geschworenen 
(GVG. §§ 56 und 96), die Verurtheilung des renitenten Schuldners nach CPO.
	        
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