Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

100 Postliminium. 
Feind auch die rechtliche Möglichkeit hierzu verloren, da der Krieg nach heutigem 
Völkerrechte nur zwischen Staaten geführt werden kann, also durch die Vernichtung 
des einen der kriegführenden Staaten, bzw. durch die Entthronung des Staats- 
herrschers unmöglich wird. In diesem Falle ist demnach, sofern das Volk sich nicht 
zu Gunsten des vernichteten Staates oder des vertriebenen Sonveräns erhebt, der 
feindliche oder der revolutionäre Machthaber in den vollständigen Besitz der Herr- 
schaft gelangt. Das Recht des depossedirten Souveräns verliert damit jede staats- 
und völkerrechtliche Bedeutung: es giebt weder in noch außer dem Staate ein 
Forum, vor welchem es geltend gemacht werden könnte, und auch das Recht, durch 
kriegerische Gewalt die Restauration zu erzwingen, ist dem depossedirten Fürsten mit 
dem Verluste der Staatsgewalt verloren gegangen. Fremde Staaten können dem 
Usurpator wol sein Recht absprechen; aber einem solchen Urtheile fehlt jede recht- 
liche Kraft, und ebensowenig kann die Meinung des ganzen Volks oder einzelner 
Parteien in demselben, daß der Usurpator kein Recht auf die Herrschaft habe, der 
zweifellosen Thatsache des Besitzes der Staatsgewalt gegenüber irgend welche recht- 
liche Wirkung äußern. 
Die staatliche Ordnung lebt also nur durch den Usurpator fort und kann nur 
durch ihn fortleben, weil ihre Erhaltung die in den Händen des Usurpators befindliche 
Staatsgewalt zur Voraussetzung hat: der Besitz der Staatsgewalt giebt sonach dem 
Usurpator nicht blos die Macht, sondern auch das Recht zu herrschen. Damit ist 
aber auch alles dasjenige, was der Usurpator im Einklange mit den unter seiner 
Herrschaft geltenden Rechtsnormen gethan hat, für rechtmäßig erklärt. Eben deshalb 
kann, wenn die durch Eroberung oder Revolution begründete Herrschaft von dem 
vertriebenen Staatsherrscher oder zu dessen Gunsten von einer befreundeten Macht 
wieder umgestoßen wird, nicht von einem P. der ursprünglichen, jetzt restaurirten 
Regierung gesprochen werden: da das jus postliminül auf Grund der thatsächlichen 
Rückkehr des ursprünglich Berechtigten annimmt, derselbe sei überhaupt nie fort 
gewesen, so würde das P. die Befeitigung des ganzen von dem Usurpator ge- 
schaffenen Rechtszustandes, die Annullirung sämmtlicher durch ihn begründeter 
Rechtsverhältnisse fordern. Hier aber findet gerade das Gegentheil statt: ein be- 
stimmtes Rechtsverhältniß wird unter Anerkennung, daß dasselbe eine Zeit lang und 
zwar mit fortdauernden rechtlichen Wirkungen unterbrochen gewesen, erneuert, die 
Zeit der Usurpation wird nicht rückwärts ungeschehen gemacht, sondern die in ihr 
ergangenen Verfügungen und begründeten Rechtsverhältnisse bleiben bestehen, und 
dem restaurirten Herrscher steht nur zu, diejenigen rechtlichen Bestimmungen, welche 
den Usurpator in seiner Stellung als Souverän anerkennen und sichern, einfach als 
ipso jure nichtig zu betrachten, weil ohne deren Annullirung eine Restauration 
überhaupt nicht möglich sein würde. Daß dem restaurirten Herrscher hierbei eine 
Berufung auf sein früheres weder durch eine Willenshandlung des Volks noch durch 
die Anerkennung des Usurpators von Seiten des Auslandes entziehbares Recht zusteht, 
während der Usurpator sich bei der Beseitigung des rechtmäßigen Souveräns nur 
auf die Thatsache des gleichviel durch welche Faktoren erworbenen Besitzes der 
Staatsgewalt berufen konnte, ändert zwar das juristische, wie das moralische Urtheil 
über diesen Vorgang, macht aber aus ihm doch nicht ein wirkliches, die Zwischenzeit 
der Usurpation beseitigendes P., sondern nur eine staatsrechtliche Neu- 
bildung auf Grund eines früher geltend gewesenen, dann beseitigten und endlich 
unter Anerkennung dieser zeitweisen Befeitigung durch die Besitzergreifung der Staats- 
gewalt wieder zur Geltung gebrachten Rechts. 
OQuellen: Gaius, I. § 129. — D. 49, 15 de captivis et de postliminio. — C. 8, 51 
de postliminio reversis et redemtis. — Ueber die Reprisengesetzgebung der einzelnen Länder 
vgl. Wheaton, Eléments du droit international, 3. éd., tome II. § 12. — Phillimore, 
Comment. upon international law, vol. III. part. X. ch. 6 §§ 411—419. 
Lit.: Hase, Das jus postliminit und die fictio legis Corneliae, Halle 1851. — Bech- 
mann, Das jus postliminü und die lex Cornelia, Erl. 1872. — Wheaton, a. a. O., II.
	        
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