Poststrafrecht. 103
ist die Strafwürdigkeit der Postdefraudationen nicht ohne Bedenken. Da nämlich
die entgeltliche Beförderung von Personen kein ausschließliches Vorrecht der Post
mehr bildet, enthält auch die unbefugte unentgeltliche Benutzung der Post keinen
Eingriff in das Postregal: sonach fehlt es an einer inneren Berechtigung, diese
Handlung für eine strafbare zu erklären. Diese Bedenken haben bei dem Eisenbahn-
Polizeireglement ihre Würdigung gefunden und dort dahin geführt, dergleichen Hand-
lung nicht strafrechtliche, sondern civilrechtliche Folgen beizulegen.
Als Portodefraudationen sind strafbar und werden bedroht mit einer dem
Quadruplum des defraudirten Portos gleichkommenden Geldstrafe, die jedoch nicht
unter drei Mark betragen darf, und im ersten Rückfalle mit dem Doppelten, im
fereren mit dem Vierfachen dieser Strafe: 1) die entgeltliche Beförderung von
Briefen und politischen Zeitungen von einem Ort zum anderen auf andere Weise,
als durch die Post; es ist eben das Vorrecht der Post, Briefe, d. h. verschlossene
schriftliche Mittheilungen, und Zeitungen politischen Inhalts, nicht auch Fachzeitungen
und Zeitschriften, gegen Bezahlung zu befördern. Dieses Vorrecht verletzt sowol der-
jenige, welcher eine andere Gelegenheit benutzt, wie der, welcher die Beförderung
gegen Entgelt unternimmt. 2) Der unrichtige Gebrauch einer von der Portozahlung
befreienden Bezeichnung der Sendung und die Einlegung einer portopflichtigen Sen-
dung in eine die Portofreiheit genießende. Der Gebrauch eines zu niedrigen, dem
Tarife nicht entsprechenden Portosatzes oder eines Kreuz= oder Streifbandes für eine
dem vollen Porto unterliegende Sendung ist selbst dann nicht strafbar, wenn er eine
Portohinterziehung beabsichtigt, sondern zieht nur die Nachtaxirung und die Ein-
ziehung des sog. Strafportos nach sich. Dagegen fällt unter die Strafvorschrift der
Mißbrauch der Bezeichnung „portopflichtige Dienstsache“, weil durch sie die Strafe
der unterlassenen Frankirung beseitigt wird. 3) Die Benutzung bereits entwertheter
Postwerthzeichen ohne Hinzutritt einer weiteren, die That zu einem gemeinen Delikt
hinabdrückenden Handlung, durch die dem Werthzeichen der Schein eines noch nicht
entwertheten gegeben werden soll. Es ändern jedoch derartige Handlungen, wenn
sie, wie z. B. das Aufkleben des Werthzeichens mit der Schauseite, auch nicht ein-
mal die Möglichkeit einer Täuschung bieten, den Charakter der That als einer De-
fraudation nicht. 4) Die Mitgabe portopflichtiger Sendungen an Postbeamte oder
Postillone behufs Umgehung der Portogefälle. Die Defraudation ist in den letzt-
gedachten drei Fällen vollendet und die Strafe verwirkt, sobald die Sendung der
Post bzw. der betreffenden Person übergeben ist, eine Uebergabe, die bei Briefen
schon dann als erfolgt anzusehen ist, wenn sie dem Briefkasten anvertraut sind.
Als Postdefraudation wird erklärt, und macht sich einer solchen schuldig, wer
wissentlich, um der Postkasse das Personengeld zu entziehen, uneingeschrieben mit der
Post reist. Auch hier besteht die Strafe in dem Vierfachen des defraudirten Per-
sonengeldes, mindestens aber in der Summe von drei Mark. Während bei den
Portodefraudationen und in dem ad 4 gedachten Falle die Strafbarkeit der That
durch den auf die Umgehung der Portogefälle gerichteten dolus des Thäters bedingt
ist, erfordert hier der Thatbestand ein zweifaches subjektives Moment, nämlich das
Bewußtsein von der Strafbarkeit der Handlung und die Absicht einer Hinterziehung
des Personengeldes.
II. Das formelle P., das Strafverfahren, behandelt der Abschnitt V des Ges.
vom 28. Oktober 1871. Es charakterisirt sich als ein Administrativverfahren. Die
Deutsche StrafP O. hat zwar ein solches nicht eingeführt oder vorgeschrieben —, hat
es jedoch überall da, wo es bestand, aufrecht erhalten und hat zur Regelung des
Verhältnisses zwischen ihm und dem gerichtlichen Verfahren im dritten Abschnitte
des sechsten Buchs verschiedene Anordnungen getroffen, welche vielfach auch auf das
Landesrecht modifizirend einwirken. Indem jedoch der § 5 des E. zur Straf P O.
vorschreibt, daß die prozeßrechtlichen Bestimmungen der Reichsgesetze durch die
Straf P O. nicht berührt werden, hat er die Anwendung jener Anordnungen auf das