134 Preßzgesetzgebung.
gliedern überwiesen. Biedermann erstattete den Bericht. Aber bei der zweiten
Lesung, am 29. Mai 1878, ließ das Haus auf Wunsch des Reichskanzlers, der die
baldige Vorlegung des Regierungsentwurfs in Aussicht stellte, seinen Entwurf fallen. —
Am 11. Februar 1874 wurde der Regierungsentwurf vorgelegt, am 20. Februar
der ersten Berathung unterzogen, und hierauf an eine vierzehngliedrige Kommission,
zusammengesetzt aus Juristen und Vertretern hervorragender Preßorgane verschiedener
Richtung, überwiesen. Marquardsen wurde mit der Berichterstattung betraut
(die von der Kommission an der Regierungsvorlage vorgenommenen Veränderungen
hat Marquardsen in seinem Kommentar, S. 19, zusammengestellt). Die zweite
Lesung begann am 16. März 1874 und wurde am 24. März beendet. Allein
der Entwurf, wie er aus der zweiten Lesung hervorging, wurde von den Regierungen
als unannehmbar bezeichnet. Um die Differenzpunkte zu beseitigen, traten die Mit-
glieder der bisherigen Kommission mit den Bundeskommissären von Brauchitsch
und von Schelling zu freier Berathung zusammen. Die Ergebnisse derselben
wurden in der von Marquardsen, v. Forcade und v. Schwarze redigirten
Fassung als deren Anträge bei der dritten Lesung vorgelegt; sie betrafen das
Kolportiren von Druckschriften durch jugendliche Personen, den Umfang des Be-
richtigungszwanges, die Provokation auf gerichtliches Gehör im Berichtigungsver-
fahren, das politische Plakat, die Haftung des Redakteurs, die preßrechtliche Fahr-
lässigkeit, die vorläufige polizeiliche Beschlagnahme. In der Sitzung vom 24. und
25. April 1874 wurden die Anträge genehmigt, und das Gesetz selbst in dritter
Lesung beschlossen. Die Kaiserl. Publikation erfolgte am 7. Mai 1874; die Gesetzes-
kraft trat am 1. Juli 1874 ein, während die Einführung in Elsaß-Lothringen einem
besonderen Gesetze vorbehalten wurde. — Wenn wir den durchschnittlichen Stand
der Gesetzgebung in den meisten Theilen Deutschlands bis zum Jahre 1874 ins
Auge fassen, so ergiebt sich, daß das Reichspreßgesetz in folgenden Punkten wesentliche
Verbesserungen gebracht hat. Nachdem schon die Gew. O. vom 21. Juni 1869 das
Konzessionensystem auch bezüglich der Preßgewerbe beiseitigt hatte, hob das
RPreß Ges. auch die richterliche Entziehung der Gewerbebefugniß vollständig auf. Die
schwerdrückenden finanziellen Belastungen der Presse wie Zeitungsstempel-, Kalender-
und Inseratensteuer, ferner die Kautionspflicht der politischen periodischen Presse ent-
fielen. Die Entziehung des Postdebits wurde beschränkt, die Regelung des Plakat-
wesens der Landesgesetzgebung überlassen. Der präventive Charakter der Probeexemplare
wurde gemildert, der Berichtigungszwang (übermäßig) beschränkt. Auch bezüglich
der Haftung für Preßdelikte sind gewisse Erleichterungen eingetreten, wenn auch der
zweite Absatz des § 20 in der Praxis nicht so fungirt als man gehofft hatte. Da-
gegen ist insbesondere die vorläufige polizeiliche Beschlagnahme geblieben, und die
Beschränkungen, denen sie unterworfen wurde, können auf große praktische Bedeutung
keinen Anspruch machen. — Sonach bedeutet das Reichspreßgesetz gewiß einen Fort-
schritt in freiheitlicher Richtung. Das muß die Deutsche Presse dankbar anerkennen;
mag sie immer betonen, daß größere Fortschritte hätten gemacht werden können:
heute handelt es sich in erster Linie darum, das Errungene zu vertheidigen, die er-
strittene Position zu behaupten.
IV. Auswärtige Gesetzgebung: 1) England. a. Die Verantwortlich-
keit für Preßdelikte bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechtes.
Wer an der Veröffentlichung (publication) eines strafbaren Preßerzeugnisses mit-
gewirkt hat, haftet für dessen Inhalt. Der Inhaber eines Preßgewerbes hat auch
das Verschulden seiner Leute zu vertreten; doch steht ihm seit der Lord Campbell's
Act (6 und 7 Victoria c. 96) vom 24. August 1843 der Gegenbeweis offen, daß
die Veröffentlichung ohne seinen Auftrag, seine Zustimmung, sein Wissen erfolgte und
nicht veranlaßt war durch einen Mangel an Aufmerksamkeit von seiner Seite (want
of due care and caution on his part). Die Zulässigkeit dieses Einwandes in dem
Verfahren gegen Zeitungseigenthümer ist äußerst bestritten (vgl. über den Fall