Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

148 Preßstrafrecht. 
strafbaren Handlungen, outrages à la morale publique et aux bonnes moeurs (ein 
viel umfassender Begriff, unter den Angriffe auf Religion, die Freiheit der Kulte, 
Eigenthum und Familienrechte ebenso fallen, wie die Verherrlichung strafbarer Hand- 
lungen und die Verhöhnung des Gesetzes), öffentliche Beleidigung des Präsidenten 
der Republik, der Kammern, fremder Souveräne und Minister, Angriffe auf die 
Volkssouveränität, die Verfassung rc., diffamation et injure publique gegen 
öffentliche und Privatpersonen 2c. — Die Deutsche Wissenschaft hat sich wiederholt 
mit der juristischen Konstruktion des Preßdeliktes befaßt. Glaser, John, 
Jaques, v. Buri, Merkel, daneben der Holländer Buyn, aus neuester Zeit 
Oetker (Goltdammer's Archiv, Bd. XXVI.) sind hier zu nennen. Glaser 
gebührt das Verdienst, der Frage zuerst näher getreten zu sein; ein Verdienst, das 
durch das Mißlingen des Versuches nicht geschmälert wird. Er unterscheidet 1) die 
uneigentlichen Preßdelikte, „Handlungen, deren Thatbestand nicht schon an und 
für sich durch den Mißbrauch der öffentlichen Meinungsäußerung bedingt ist“, wie 
Injurien, Gotteslästerung, Betrug, Fälschung, Erpressung 2c.; sie sind nach den 
Grundsätzen des allgemeinen Strafrechtes zu beurtheilen. 2) Die eigentlichen 
Preßdelikte, „für die öffentliche Ordnung gefährliche und blos darum verbotene Pu- 
blikationen“, nicht kriminelles, sondern polizeiliches Unrecht. Als verboten sind nur 
diejenigen Publikationen anzusehen, durch welche entweder a. zu strafbaren oder 
wenigstens rechtswidrigen Handlungen aufgereizt, oder b. ein durch das Gesetz ge- 
schütztes Objekt in einer an sich verwerflichen Form angegriffen wird. Hier sollen 
nur objektive und zwar gerichtliche Maßregeln Anwendung finden. Gegen diese Ein- 
theilung vgl. John, Marquardsen, Jaques, Merkel, Oetker; sie kann 
heute als genügend widerlegt angesehen werden. Sie krankt an einem doppelten 
Irrthum; einerseits an der Identifizirung von Presse und Oeffentlichkeit und damit 
an der Verrückung des Schwerpunktes der Frage; andererseits an einer ganz un- 
haltbaren, heute antiquirten Auffassung des Polizeideliktes, mit welcher die Ein- 
theilung in sich zusammenfällt. Gefährdung von Rechtsgütern ist eben kein Polizei- 
delikt. — Oetker hat der Untersuchung neue Bahnen gewiesen, hat aber einerseits 
sowol die Bedeutung der Druckschrift, als auch die der Verbreitung derselben nicht 
richtig gewürdigt, andererseits den Kreis der Preßdelikte zu weit gezogen. 
Das Preßdelikt ist Mißbrauch des Rechtes der Gedankenäußerung. Und zwar 
der öffentlichen Gedankenäußerung; gerichtet an die unbegrenzte Menge, die wir 
Publikum nennen. Es folgt dies schon daraus, daß das Mittel, die Druckschrift, 
begrifflich dazu bestimmt ist, in die Oeffentlichkeit zu treten. Charakterisiren wir 
aber eine bestimmte Deliktsgruppe durch Hervorhebung des zu ihrer Begehung ge- 
brauchten Mittels, dann muß dieses Mittel in der seine Bestimmung erfüllenden 
Weise gebraucht sein. Ich spiele nicht mein Blasinstrument, wenn ich mit einem 
Metallstäbchen auf dasselbe schlage. 
Wenn aber das Preßdelikt Mißbrauch des Rechtes der öffentlichen Gedanken- 
äußerung ist, dann ist es eine besondere Spezies in einer größeren Gruppe; dann 
erweitert sich die legislatorische Frage: „welche Handlungen sind Preßdelikte de lege 
ferenda“ zu der anderen: „wann ist die öffentliche Gedankenäußerung überhaupt 
strafbar?"“" Und diese Frage hat nicht das Preßrecht zu lösen; es hat vielmehr 
aus der im positiven Rechte gegebenen Lösung seine Konsequenzen zu ziehen. 
Die Gedankenäußerung muß, um zur Aufstellung einer besonderen Deliktsgruppe 
führen zu können, an sich, d. h. ohne Rücksicht auf einen weiteren Erfolg, norm- 
widrig und strafbar sein. Sie kann dies sein, wenn sie unmittelbar Rechtsgüter- 
verletzung ist, wie bei der öffentlichen Beleidigung, der Gotteslästerung; sie kann 
es sein als Rechtsgütergefährdung, wie bei der öffentlichen Aufforderung zu straf- 
baren Handlungen; sie kann es sein als reiner Ungehorsam, wie bei der ver- 
botenen Ankündigung ausländischer Lotterien. In allen diesen Fällen ist mit der 
Aeußerung die Norm übertreten, das Delikt vollendet; in allen Fällen ist daher
	        
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