Parentelenordnung. 11
Soweit die Verwandtschaft zweier Personen zu einander rechtlich maßgebend ist,
bedient sich auch das Deutsche Recht der Zählung nach Zeugungen. Doch werden,
wenn die zwei Personen von einem gemeinschaftlichen Dritten abstammen, nur die
Zeugungen gezählt, die zu einer derselben vom gemeinschaftlichen Stammvater herab-
führen. Sind die Seiten ungleich lang, so zählt man auf der längeren Seite.
Geschwisterkinder, die nach Röm. Recht im vierten Grade verwandt sind, sind es
nach Deutschem demnach nur im zweiten Gliede, Oheim und Neffe gleichfalls im
zweiten. Im Gegensatz zum Röm. Recht versinnbildlicht das Deutsche Recht die
Verwandtschaft durch den menschlichen Körper und berechnet sie an den Gliedern
vom Schultergelenk bis zum Nagel der Hand. Diese Verwandtschaftszählung ist
durch das Kan. Recht zur Bestimmung der Ehehindernisse rezipirt und weiter aus-
gebildet worden.
Für das Erbrecht, wo es sich stets um die Verwandtschaft zweier oder mehrerer
Personen zu einer dritten, dem Erblasser, handelt, hat das Deutsche Recht eine be-
sondere Successionsordnung ausgebildet, welche sich nicht an die absolute Verwandt-
schaftsnähe, sondern an die natürliche Gliederung der Verwandtschaft in engere Ver-
wandtschaftsgruppen anschließt.
Der ganze Kreis der Verwandtschaft zerfällt in eine Reihe kleinerer Kreise,
welche dadurch gebildet werden, daß sie den nächsten Stammvater gemeinsam haben.
Um die Sache möglichst anschaulich zu machen, setzen wir, daß eine verwandtschafts-
lose Person — wir wollen sie Dankwart nennen — eine Familie gründet. Nach dem
Tode derselben können nur ihre Abstämmlinge als Erben in Betracht kommen
(1. Parentel). Soll ein Kind des Dankwart beerbt werden, etwa Walter genannt,
so können als Verwandte desselben in erster Linie dessen Abstämmlinge (1. Parentel),
außerdem aber auch dessen Vater und Geschwister auftreten (2. Parentel). Stirbt
ein Sohn des Walter, so kann derselbe beerbt werden erstens von seinen eigenen
Abstämmlingen, zweitens von seinem Vater und dessen Abstämmlingen, drittens von
seinem Großvater und dessen Abstämmlingen. Alle diejenigen, welche den nächsten
gemeinschaftlichen Stammvater haben, bilden mit demselben eine Parentel. Mit
jeder neuen Generation erweitert sich der Kreis der Verwandtschaft um eine neue
Parentel. Sonach schichtet sich die ganze Verwandtschaft in übereinanderfolgende
Gruppen, Parentelen ab, deren erste vom Erblasser und dessen Descendenten gebildet
wird, während die zweite aus dem Vater desselben und dessen Abstämmlingen besteht
und die folgenden der Reihe nach stets den relativ nächsten Ascendenten und dessen
Descendenz umfassen. In analoger Weise gliedert sich die Verwandtschaft, welche
durch die Mutter des Erblassers vermittelt wird. Die ganze Seitenverwandtschaft —
und das ist das wesentliche Merkmal des Systems — erscheint demnach als auf-
gelöst in Descendenzen, welche von den Ascendenten des Erblassers ausgehen. Sämmt-
liche Verwandte kommen entweder als Stammeshäupter oder als Abstämmlinge in
Betracht. Die Reihe der Stammeshäupter vom Erblasser angefangen bis zu dem
ältesten nachweisbaren Ahn desselben bildet den Hauptstock oder Stamm der Ver-
wandtschaft, von welchem in bildlicher Darstellung die Descendenten des Erblassers
in gerade absteigender Linie ausgehen, die Kollateralen desselben als Abstämmlinge
seiner Ascendenten in schräger Linie sich abzweigen.
Die P. ist nun jene Successionsordnung, zufolge welcher im Erbgang die
dem Entstehungsalter nach jüngere Parentel die ältere ausschließt. Es folgt also
im Erbe zunächst die Parentel des Erblassers, bestehend aus seinen Kindern und
Kindeskindern. Wenn solche nicht vorhanden, neben dem Vater die Geschwister des
Erblassers und deren Sprößlinge als Glieder der zweiten Parentel. So lange in
einer Parentel ein erbberechtigter Verwandter vorhanden ist, kann niemand aus der
nächst höheren Parentel zum Erbe gelangen. Der Neffe des Erblassers schließt also
dessen Oheim aus, da jener in der zweiten, dieser in der dritten Parentel steht.