Progressivsystem. 189
oft besprochene Streitfrage hat übrigens, wie schon von Eichhorn und Anderen
bemerkt wurde, geringes praktisches Interesse. — Ueber das P. der Reichsvikare hin-
Fechtich der Reichslehen vgl. aurea bulla c. 5.
: Eichhorn, § 212. — Mayr, § 136. — Weber, III. S. 11—17. — Kfeiffer
in Witnees. s gonn, 3 VI. 427 ff. Frankl
Progressivsystem. Zwischen den beiden einfachen Arten des Vollzugs der Frei-
heitsstrafen, d. h. zwischen der Einzelhaft und der alten Gemeinschaftshaft (entweder
ohne Trennung der Gefangenen bei Nachtzeit, oder nach dem sog. Auburn'schen System
unter Trennung der Gefangenen bei Nachtzeit und mit Auferlegung des Schweiggebots)
schob sich nach und nach ein drittes ein: das Irische oder Progressivsystem. Anknüpfend
an den Grundgedanken des Besserungszweckes liegt das Hauptmerkmal des P. darin,
daß dem Verhalten des Sträflings ein bestimmender Einfluß auf die Modalitäten des
Strafvollzugs und die Dauer der Strafe zuerkannt wird. Demgemäß ergeben sich
gewisse Abstufungen, entsprechend den wahrnehmbar gewordenen Anzeichen der Besserung:
höherer Antheil am Arbeitsverdienst, größere Erleichterungen in der Unterwerfung unter
die Disziplin, Abkürzung der Haftdauer. Und umgekehrt: Verlust der erlangten Vor-
theile durch Widersetzlichkeit, Unfleiß und ordnungswidriges Betragen des Gefangenen.
Die ersten Anfänge des P. liegen in dem Vorschlag, die Dauer der Freiheitsstrafe aus-
zudrücken in dem Maße der den Gefangenen auferlegten, nach seinen Anstrengungen bald
früher, bald später zu bewältigenden Arbeitsleistungen. Verwirklicht ward dieser Gedanke
zuerst in dem von Maconochie eingeführten Markensystem, durch welches die
zeitliche Dauer der Strafe in einer bestimmten, vom Sträfling abzuverdienenden
Anzahl von Arbeitspensen markirt wurde. An sich ist es möglich, daß ein derartiges
Prinzip sowol auf die Einzelhaft, als auch auf die Gemeinschaftshaft, auf schwere
oder auf leichtere Freiheitsstrafen angewendet werde. Neue Gestalt gewann das P.
in Irland, wo Crofton seit 1854 eine von weit reichenden Erfolgen gekrönte
Reform der Strafanstalten ins Werk setzte. Das Irische System beruht auf einer
durch den Gedanken der stufenweisen Fortbildung des Verbrechers geleiteten Ver-
schmelzung der Einzelhaft und der Gemeinschaft. Die Strafe der Zwangsarbeit
(penal servitude), deren Minimum gegenwärtig fünf Jahre beträgt, zerfällt danach
in folgende Abschnitte: 1) Einzelhaft bis zur Dauer von 9 Monaten, wegen guten
Verhaltens um einen Monat kürzbar; 2) Gemeinschaftshaft in progressiver Klassi-
fikation, vermittelt durch Versetzung in Gemäßheit guten Verhaltens und gekenn-
zeichnet durch Zubilligung bestimmter, in jeder Klasse verdienter Marken; 3) Zwischen-
anstalt (intermediate prison) ohne Disziplinarstrafe außer der Zurückversetzung, im
Sinne einer allmäligen Annäherung an die Freiheit; 4) bedingte, d. h. widerrufliche
Freilassung (conditional pardon) gegen einen Urlaubsschein (ticket-f-leave) und unter
Anwendung polizeilicher Aufsicht über die Entlassenen. Obwol von den Anhängern
der strengen Einzelhaft das Irische System als Rückfall in die Grundfehler der alten
Gemeinschaftshaft angesehen wurde (so von Füßlin, Röder, Ducpétiaux,
Suringar), sind dessen Vorzüge dennoch sehr bald allgemein anerkannt und selbst
von denen hervorgehoben worden, die entschieden der Einzelhaft den Vorzug gegeben
hatten (Mittermaier, Hoyer, Julius). Immerhin verbreitete sich seit 1859,
wo die Einzelheiten des P. zuerst bekannt wurden, die Ueberzeugung, daß es als ein
selbständiges, auf eigenthümlicher Grundlage ruhendes System anerkannt werden
müsse und keineswegs als rein äußerliche Mischung unverträglicher Elemente bezeichnet
werden dürfe. Auch begriff man, daß es dabei nicht auf eine Nachahmung der in
Irland gegebenen Aeußerlichkeiten ankomme, sondern vielmehr, je nach den Verhält-
nissen der einzelnen Länder, mannigfache Abweichungen durch die besondere Natur
der Umstände geboten sein können. In Deutschland verfochten der Unterzeichnete
und nach ihm Hoyer, John, v. Groß, Hänell, Fulda, in Holland van der
Brugghen, Eyssel und Grevelinck, in Frankreich Lucas und Bonneville