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de Marsangy, in Italien Beltrani-Scalia, in Amerika Sanborn, in
der Schweiz v. Orelli, Guillaume und Hürbin, in Dänemark Bruun,
in Ungarn Tauffer die Grundsätze des Irischen Systems. Zunächst ward durch
Aneignung wesentlicher Stücke die Einrichtung der Englischen Strafanstalten nach
dem Irischen Muster vervollkommnet. In der Schweiz sind die in der Aargauischen
Anstalt zu Lenzburg angenommenen Grundsätze des Strafvollzuges aus dem Grund-
gedanken des P. hergeleitet worden. Unter den verschiedenen Bestandtheilen des
Irischen Strafvollzuges hat die widerrufliche und bedingte Entlassung der Gefangenen
am Allgemeinsten Billigung gefunden, weil sie auch dem Einzelhaftsystem angefügt
werden kann und nicht nothwendig im Zusammenhang steht mit einer bestimmten
Form der Haft. Zuerst auf Deutschem Boden ward die bedingte Entlassung als
ein Akt der Gnade im Königreich Sachsen eingeführt. Anders im Rötraf.
(§8§ 23—27). Hier ist die „vorläufige Entlassung“ eine Maßregel der Justizver-
waltung. Die höchste Justizaufsichtsbehörde beschließt darüber nach Anhörung der
Gefängnißverwaltung. Auch der Widerruf geht von derselben Instanz aus, wenn-
gleich die Ortspolizeibehörde aus dringenden Gründen des öffentlichen Wohles die
einstweilige Festnahme vorläufig Entlassener verfügen darf. Anwendung findet die
vorläufige Entlassung auf diejenigen zur Gefängniß= oder Zuchthausstrafe Verur-
theilten, welche sich 1) gut geführt, 2) drei Viertel der ihnen auferlegten Strafe,
mindestens aber ein Jahr, in Haft gewesen sind, und 3) in die Maßregel ein-
willigen. Eine Resolution des Norddeutschen Reichstages vom 4. März 1870 ver-
langt eine Vorlage des Bundesraths, durch welche „die Vollstreckung der Freiheits-
strafen gesetzlich geregelt und die Einsetzung einer Bundesbehörde angeordnet wird,
welcher die oberste Aufsicht über die sämmtlichen Angelegenheiten der Straf= und
Besserungsanstalten obliegt“. (Erneuert im Tellkampfschen Antrag vom 29. Jan.
1875.) Uebrigens enthält das RStraf GB. alle Elemente, aus denen, ohne Aende-
rung des Gesetzes selbst, das progressive System ausgebaut werden kann:
I. Zulässigkeit der Einzelhaft bis zu drei Jahren (wenn der Sträfling ein-
willigt auch länger).
II. Zulässigkeit der Gemeinschaftshaft daneben.
III. Zulässigkeit der Arbeit in freier Luft.
IV. Vorläufige Entlassung und
V. Polizeiausfsicht.
Auf dem Internationalen Gefängniß-Kongreß zu London erklärten sich 1872
die Vertreter der meisten Staaten für das P., insbesondere Beltrani-Scalia
(Italien), Frey (Oesterreich), Almquist (Schweden). Schon vorher war Bruun
(Dänemark) in seinen Schriften dafür eingetreten. Dagegen stimmten die Vertreter
von Belgien, überwiegend die Holländer und zur Hälfte die Deutschen.
Lit.: v. Holtzendorff, Das Irische Gefängnißsystem, 1859; Derselbe, Bemerkungen
und Beobachtungen über den gegenwärtigen Zustand der Irischen Gefängnißeinrichtungen,
1862; Derselbe, Die Kürzungsfähigkeit der Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung der
Gefangenen, 1861. — Van der Brugghen, Etudes sur le systeme Ppénitentiaire Irlandais,
1865. — Die vollständige ausländische Literatur bis 1866 ist verzeichnet in v. Holtzendorff,
Kritische Untersuchungen über die Grundsätze und Ergebnisse des Irischen Strafvollzuges. —
Prisons and Reformatories at Home and abroad, Lond. 1872. — Beltrani-Scalia, IHI
sistema penitenziario d'Inghilterra e d'Irlanda, Roma 1874. — Don A. Borrego, Estudios
penitenciarios, Madrid 1873. — Hürbin, Die Strafanstalt Lenzburg in den Jahren 1871
bis 1875, Aarau 1877. — Verhandlungen des internationalen Gefängnißkongresses zu Stock-
holm, Bd. I. S. 303 ff., 313, 502 ff. v. Holtzendorff.
Prokura ist die von dem Eigenthümer einer Handelsniederlassung (Prinzipal)
ertheilte Vollmacht, in dessen Namen und für dessen Rechnung das Handelsgeschäft
zu betreiben und per p. die Firma zu zeichnen. Der so Bevollmächtigte heißt
Prokurist. Der Prokurist ist nach einem schon auf der Nürnberger Konferenz
gebrauchten Ausdruck das alter ego des Prinzipals. Der Name P. war längst vor