Prostitution. 195
laubniß hatten, unter öffentlichem Schutz von Markt zu Markt zu ziehen, um sich
durch geschlechtliche Hingabe ihren Erwerb zu suchen. Aißerhalb dieser bestimmt
gezogenen Grenzen aber wurde jede Kuppelei und Unsittlichkeit mit schweren Strafen
geahndet, nicht selten sogar mit dem Tode. Unter dem Einflusse der Refor-
mation machte sich eine strengere Ascetik auch der privilegirten P. gegenüber geltend
und man versuchte es mit der Entfernung sämmtlicher eingeschriebener Dirnen; aber
es mehrten sich dann die Angriffe auf ehrsame Frauenzimmer, die heimlichen Ge-
burten und Kindestödtungen und manche Scenen öffentlichen Aergernisses derart,
daß man sehr bald wieder zur Duldung der Freudenhäuser zurückkehrte. Den
gleichen Versuch wiederholte man im Jahre 1698, indem auf Befehl des Kurfürsten
Friedrich III. sämmtliche feile Dirnen aus Stadt und nächster Umgebung nach dem
Zucht= und Spinnhause in Spandau abgeliefert wurden. Aber wiederum sah man
sich schon im Jahre 1700 durch das rasche Ueberhandnehmen der Winkel-P. ge-
nöthigt, das System geduldeter Wirthschaften wiederherzustellen, wobei man zu-
gleich zum ersten Male die sanitäts polizeiliche Beaufsichtigung mit der sitten-
und sicherheitspolizeilichen verband. Das damals erlassene Bordell-Reglement,
welches auch auf die übrigen größeren Städte der Preußischen Monarchie übertragen
wurde und bis 1792 in Geltung blieb, erklärte „diese Wirthschaft nicht für gesetzlich
erlaubt, aber als ein nothwendiges Uebel geduldet“. Diese Unterscheidung ist hier,
wie in anderen Ländern, seitdem nachdrücklich festgehalten worden, so daß keinerlei
Lizenz oder Gerechtsame durch einen gesetzlichen Akt gewährt, sondern nur eine
Duldung geübt wurde aus Gründen, die in den gesellschaftlichen Zuständen liegen
und mit deren Aufhören man jederzeit auch jener Duldung ohne gesetzliche Forma-
lität und ohne irgend welche Entschädigung beliebig ein Ende machen kann.
Unter Friedrich's des Großen Regierung vermehrte sich in Folge des Zuflusses
vieler Fremder und der Vergrößerung der Garnison die Zahl der Freudenhäuser in
Berlin bis an Hundert. Es folgte dann 1792 ein neues Reglement unter dem
Titel: „Verordnung wider die Verführung junger Mädchen zu Bordells und zur
Verhütung der Ausbreitung venerischer Uebel“, — ein Titel, welcher von dem Be-
streben zeugt, den Schein obrigkeitlicher Anordnung und Regulirung eines unzüchtigen
Treibens zu vermeiden. Im Wesentlichen enthielt das neue Reglement die gleichen
Direktiven, welche bald nachher in das Allgem. LR. ausgenommen wurden und
deren wichtigsten Satz der § 999 in Th. II. Tit. 20 des letzteren bildet: Liederliche
Weibspersonen, welche mit ihrem Körper ein Gewerbe treiben wollen, müssen sich
in die unter Aufsicht des Staates geduldeten Hurenhäuser begeben“. Ungeachtet
dieses landrechtlichen Paragraphen duldete die Polizei in der Folge auch allein-
lebende Dirnen, weil sie ihrer Erfahrung nach „die Bordelle allein nicht für aus-
reichend hielt, der Winkelhurerei die aufmunternden Anreize zu entziehen“. Männer
aus den gebildeteren Schichten der Bevölkerung gehen selten oder nie in die öffent-
lichen Bordelle; — gerade diesen Männern aber stehen die Mittel zur Verführung
anständiger Mädchen und Frauen und zur Verheimlichung ihres Treibens am ehesten
zu Gebote. Die Polizei sah daher einen gewissen Schutz gegen gefährlichere Sitten-
verderbniß und gesundheitliche Infektionen darin, daß solchen Männern die Gelegen-
heit nicht verwehrt wurde, unter Vermeidung aller Auffälligkeit einzeln wohnende,
auch der polizeilichen Obhut unterstellte Dirnen zu besuchen. Letztere durften nur
in gewissen von der Polizei vorgeschriebenen Straßen wohnen, und die Wirthin,
welche eine solche bei sich aufnahm, war für dieselbe ebenso verantwortlich, wie die
Bordellwirthin für ihre sämmtlichen Dirnen.
Die strengeren ethischen Prinzipien, welche in dem ersten Jahrzehnt unseres
Jahrhunderts das Preußische Staatsleben durchdrangen, fanden indeß auch in der
Auffassung der P.frage ihren Widerhall, und ein Resolut des Ministeriums des
Innern vom 17. Okt. 1810 bestimmte, „daß keine einzeln lebende Prostituirte mehr
zu dulden, daß die bestehenden Bordelle in abgelegene Gassen zu verlegen seien, unter
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