210 Protutor.
Staaten durch persönliche Abrede zu Stande zu bringen, sei es, daß ein Vertrag
herbeizuführen oder zu vereinbaren, ein Beschluß zu fassen ist, sei es, daß eine ge-
wisse Richtung der Politik verabredet oder auch nur eine gemeinsame Erklärung ab-
gegeben werden soll. Hauptanwendung findet demnach der Ausdruck in der Kongreß-
praxis der Staaten, sowol bei den Kongressen in dem besonderen Sinne des Wortes,
als auch bei bloßen Konferenzen, sodann aber auch in der Praxis des Bundesrechts.
Da in solchen P. sich die Materialien für Auslegung und Würdigung der verein-
barten Festsetzungen finden, so findet nicht selten eine Veröffentlichung derselben statt.
Besondere Förmlichkeiten und Voraussetzungen zur Gültigkeit eines P. bestehen
im diplomatischen Verkehre nicht. Doch hat der Gebrauch dieses Jahrhunderts
folgenden Prinzipien allgemeine Anerkennung gesichert: Bei Schluß einer jeden
Sitzung der versammelten Souveräne oder ihrer bevollmächtigten Organe ist ein P.
aufzunehmen, welches unter Vermerk von Zeit und Ort der Zusammenkunft, sowie
der Namensangabe aller Betheiligten eine getreue Darstellung der stattgehabten
Verhandlungen in ihren wesentlichen Zügen nebst dem Resultate der Abstimmungen
zu geben hat. Das P. wird zu Beginn der folgenden Sitzung vorgelesen, geprüft,
genehmigt und von jedem Theilnehmer durch Namensunterschrift vollzogen. Jedem
von diesen steht es indessen frei, seine in der Verhandlung ausgesprochene Ansicht
durch ein dem P. beizufügendes Separatvotum (vote, opinion) genauer zu begründen
und zu präzisiren. Urkunden, auf die das P. Bezug nimmt, werden demselben als
Annexe angehängt. Der P führer und seine Gehülfen werden gleich in der ersten
Session von dem Vorsitzenden vorgeschlagen; es ist regelmäßig ein Beamter des-
jenigen Staates, bei dem der Kongreß sich versammelt. Bei konföderirten Staaten
sind hierfür besondere Beamten angestellt. Die Sprache des P. ist diejenige der
Verhandlungen; also bei Staaten verschiedener Nationalität gegenwärtig noch immer
die Französische.
Lit.: A. Miruß, Das Europäische Gesandtschaftsrecht, Leipz#e *vre — Charles de
Martens, Guide diplomatique, 5. é6d. par Geffcken, Leipz. 1 F. v. Martit
. V. artitz.
Protutor ist derjenige, welcher die Verrichtungen eines Vormundes ausübt,
ohne wirklich Vormund zu sein. Von einem solchen unterscheidet er sich, wie ein
Geschäftsführer ohne Auftrag vom Mandatar, doch wird auch der P. dem eigent-
lichen Vormund analog behandelt. Der Umstand, daß der P. von seiner mangelnden
Befugniß Kenntniß hatte, bewirkt, daß er, wie Jemand, der sich hinzugedrängt hat,
nicht blos für culpa in concreto, sondern für diligentia exactissima haften muß (I. 1 pr.
8 1; Il.I. 4, 5 D. 27, 5; I. 53 § 3 D. 47, 2). Erfährt dagegen ein P. nach-
träglich, daß er kein Vormund sei, so muß er für die Bestellung eines solchen sorgen,
ehe er sich von den Geschäften zurückziehen kann (I. 39 § 2 D. 26, 7).
Im Verhältniß zum Bevormundeten wird der P. wie ein Vormund betrachtet
und steht deshalb mit Ausnahme des erwähnten Falles auch für die diesem ob-
liegenden Verbindlichkeiten ein. Die Klagen sind die actiones pro tutela directae und
contrariae. Im Verhältniß zu Dritten hat das prätorische Edikt bereits dem durch
einen P. beschädigten Kontrahenten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und
eine Klage wegen dolus gegeben. Erstere findet statt, wenn der Dritte in Folge
der in der Litiskontestation liegenden prozessualischen Konsumtion durch einen Prozeß
mit dem P. seine wirkliche Klage verlor (1. 1 § 1 D. 27, 6). Dieser Fall ist mit
der hier geschilderten Wirkung der Litiskontestation heute weggefallen (s. d. Art.
Konsumtion und Litiskontestation). Die Klage dagegen ging auf vollen
Schadensersatz (vgl. 1.9 § 1 D. 27, 6), interessante Fälle: 1. 10; 1. 7 8 3 D. 27, 6
(Rudorff, II. S. 296 ff.). Im heutigen Gem. Recht läßt man jedoch nicht blos
eine Haftung für dolus eintreten, sondern verpflichtet auch denjenigen, der leicht-
sinnig als Vormund auftrat, wie sonst wegen culpa in contrabendo.