Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

272 Rechtsanwaltschaft. 
juristischen Rath und seinem Ansehen (advocatus) diente oder gleichzeitig neben der- 
selben Anträge stellte und für dieselbe plaidirte, zu unterscheiden. Während die 
Zulässigkeit der Stellvertretung sich nur langsam und allmählich erweiterte, war die 
Unterstützung der Partei durch Rechtsbeistandschaft Jedem freigegeben und galt als 
eine des höchst gestellten Mannes nicht unwürdige Beschäftigung. Als sich aber 
R. und Prozeß immer künstlicher gestalteten und dem Volksbewußtsein mehr ent- 
fremdeten, war dadurch auch die Nothwendigkeit einer speziellen Fachbildung für die 
gedachten Funktionen bedingt und so ward seit dem 3. Jahrh. die Rechtsbeistand- 
schaft ein von technisch gebildeten Juristen ausgeübtes Gewerbe, welches zugleich als 
eine Art des öffentlichen Dienstes angesehen und daher unter die Kontrole der 
Magistrate gestellt wurde. Die Zahl der Advokaten war für jedes Gericht festgesetzt 
und die Eintragung in das Verzeichniß desselben (matricula) erfolgte nur auf Nach- 
weisung der Qualifikation (namentlich einer juristischen Vorbildung). Die Kollegien 
der Advokaten der einzelnen Gerichte besaßen Korporationsrechte, und den Mitgliedern 
derselben standen eine Reihe von Privilegien (insbesondere Befreiung von lästigen 
Stadt= und Provinzialämtern) zu. Andererseits blieben sie aber der Kontrole der 
Magistrate und der Disziplinargerichtsbarkeit derselben unterworfen, für ihre Leistungen 
war eine bestimmte Taxe festgesetzt und ihnen die Pflicht auferlegt, den Ort ihres 
Gerichtes nicht ohne Urlaub zu verlassen. Faktisch bekamen sie auch in dieser Zeit 
die Prokuratur in ihre Hand, denn, wenngleich diese niemals im Römischen Reich 
gesetzlich beschränkt oder konzessionirt worden ist, erschien es doch bei der damaligen 
Gestaltung des Verfahrens und der Entwickelung des materiellen Rechts für die 
Partei mißlich, sich durch einen nicht juristisch geschulten Prokurator vertreten zu 
lassen. 
Der Formalismus des älteren Deutschen Prozesses und die Tendenz 
desselben, den Rechtsstreit durch Herausgreifen einzelner, zum Beweis zu stellender 
thatfächlicher oder rechtlicher Behauptungen zu erledigen, erforderte ebenfalls eine 
genaue Kenntniß des gerichtlichen Verfahrens und praktische Gewandtheit. Daher 
finden sich auch hier neben den Parteien Fürsprecher, deren Zuziehung überdies 
noch den Vortheil hatte, daß die Partei die Versehen derselben verbessern konnte, 
während ihr dies hinsichtlich der von ihr selbst gemachten Fehler nicht zustand. 
Erforderlich war die Zuziehung eines Fürsprechers nicht, und ebensowenig haben sie 
einen besonderen Stand gebildet. 
Seit der Rezeption der fremden R. in Deutschland und der Besetzung der Ge- 
richte mit römischrechtlich gebildeten Juristen war von selbst wieder die Nothwendigkeit 
eines besonderen rechtsgelehrten Advokatenstandes und die Verbindung der eigent- 
lichen Stellvertretung mit der Advokatur gegeben. Bei einem dem Volksbewußtsein 
und Volksverständniß völlig fremden Rechte, einem schriftlichen und künstlichen, vielfach 
die Verletzung der materiellen Parteirechte durch seinen Formalismus herbeiführenden 
Verfahren, der sich immer mehr verflachenden juristischen Methode, welche einer den 
Verkehrsverhältnissen entsprechenden Verarbeitung des fremden und einheimischen 
Rechtsstoffes nicht gewachsen war, und in unselbständiger Weise sich an die frühere 
Literatur anlehnend, Kontroversen auf Kontroversen häufte, mußte dem Advokaten- 
stand das erhebende Bewußtsein, der Verwirklichung des Rechtes zu dienen, immer 
mehr abhanden kommen, und er selbst da, wo es sich um die Vertretung einer ge- 
rechten Sache handelte, auf die Anwendung juristischer Kunstgriffe gedrängt werden. 
War doch das geheime und formalistische Verfahren geeignet, unehrenhafte Praktiken 
vor dem Publikum zu verdecken, sowie jedes Streben nach Wahrhaftigkeit und jede 
Scham über unerlaubte Mittel zu unterdrücken. Der Ausdehnung der Advokaten- 
thätigkeit auf das Gebiet des öffentlichen Rechts war die politische Entwickelung 
entgegen, auf diesem Wege konnte dem Advokatenstand keine frische und gesunde 
Lebensluft zugeführt werden, und so sank derselbe in Deutschland zu einem kon- 
zessionirten und monopolisirten, der Disziplinargewalt der Gerichte unterworfenen
	        
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