286 Rechtskraft.
Entscheidung auch zu Gunsten des Beschuldigten abgeändert werden kann, — eine
Bestimmung, deren Tragweite nichts weniger als klar ist; denn da die Rechtsmittel-
instanz in ihrer Thätigkeit auf die durch die Anfechtung bezeichneten Grenzen be-
schränkt ist (§§ 368, 392) und selten die Anfechtung zum Nachtheil des Angeklagten
genau denselben Punkt, insbesondere denselben Mangel des Verfahrens, treffen wird,
welcher zum Vortheil des Angeklagten zu berücksichtigen ist, so hängt die dem letzteren
zugedachte Rechtswohlthat von Bedingungen ab, die nicht immer erfüllt sein werden,
wo dies wünschenswerth scheinen mag, und jedenfalls wird ihre Anwendbarkeit oft
zweifelhaft sein. Die Oesterreichische Straf Pp O. (§§ 290, 477) sucht den gleichen
Zweck dadurch zu erreichen, daß sie zunächst zwischen der unrichtigen Anwendung des
Strafgesetzes (und der Bestimmungen über die erforderliche Anklage) und anderen
Anfechtungsgründen unterscheidet. Jene ist unter allen Umständen zu berücksichtigen,
sobald dieselbe der Rechtsmittelinstanz aus Anlaß eines von wem immer ergriffenen
Rechtsmittels bekannt wird. Analog damit ist die Bestimmung des § 397 der
Deutschen StrafP O., welche jedoch nur dann Anwendung findet, wenn das Ur-
theil zu Gunsten eines Angeklagten wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des
Strafgesetzes aufgehoben wird und sich das Urtheil auch auf andere Angeklagte
erstreckt, während die Oesterreichische Bestimmung auch auf Verletzungen des
materiellen Rechtes, die nur einen Angeklagten betreffen und von keiner Seite
gerügt sind, Anwendung findet. Die im § 397 der Deutschen StrafP O. blos für
den oben bezeichneten Fall ertheilte Anweisung, zu Gunsten anderer Angeklagten so
zu erkennen, als ob sie gleichfalls das Rechtsmittel eingelegt hätten, ertheilt das
Oesterr. Gesetz a. a. O. für die Fälle, wo die Rechtsmittelinstanz eine zum Nachtheil
eines Mitangeklagten unterlaufene Formverletzung konstatirt.
Was nun den Umfang der R. des keinem Rechtsmittelzuge mehr unter-
worfenen Urtheils betrifft, so ist für sie der Grundgedanke maßgebend, daß dassjenige,
was durch dasselbe entschieden ist, als endgültig entschieden zu gelten habe, nicht
neuerlich richterlicher Prüfung und Entscheidung unterworfen werden könne. Der
Satz gilt zum Nachtheil wie zum Vortheil des Angeklagten: res judicata pro veri-
tate habetur; soweit es dem Angeklagten zu statten kommt, tritt aber neben diese
Forderung juristischer Logik auch die Billigkeitsregel: Ne bis in idem. So
klar der Grundsatz und seine Berechtigung, so groß sind die Schwierigkeiten bei der
Anwendung; diese sind so mannigfaltig und hängen mit so vielen Details des
materiellen und Prozeßrechtes zusammen, daß hier mehr nicht geboten werden kann,
als die Andeutung der allgemeinsten Gesichtspunkte. Rechtskräftig wird auch auf
dem Gebiete des Strafrechts nur die Entscheidung, das heißt die Anwendung des
Gesetzes auf einen konkreten Vorfall, und zwar nur in ihrem Schlußresultat. Die
Prämissen dieser Entscheidung (die objektiven und subjektiven Entscheidungsgründe)
sind der R. nicht fähig, das heißt, daß sie in einer anderen Strafsache neuerdings
geprüft werden müssen und die dabei angeregten Fragen, trotz aller Gleichartigkeit,
ja Gleichheit der Verhältnisse, anders entschieden werden können. Wenn also eine
Handlung für straflos erklärt wurde, weil das Gericht das Strafgesetz darauf nicht
anwendbar fand, und eine andere völlig gleichartige Handlung desselben Angeklagten
neuerlich unter Anklage gestellt wird, so kann das frühere Urtheil das Gericht
nicht abhalten, die Frage der Anwendbarkeit des Strafgesetzes neuerdings unabhängig
zu prüfen, ebenso wie umgekehrt eine vorausgegangene Verurtheilung wegen einer
völlig gleichartigen Handlung den Richter nicht von der Pflicht entbindet, sich seine
Meinung über die Anwendbarkeit des Strafgesetzes auf das neue Faktum zu bilden. —
Ebensowenig ist die vorausgegangene Entscheidung über dem Gebiet des materiellen
wie des formellen Rechts angehörige Exceptionen der neuerlichen Prüfung und Ent-
scheidung in einer neuen Strassache entrückt, wenngleich die Frage genau in derselben
Gestalt wiederkehrt; z. B. die nach der geistigen Gefundheit des Angeklagten zur
selben Zeit, wo er zwei verschiedene Handlungen beging, nach seinen staatsbürger-