290 Rechtsmittel.
Anfechtung vor einem staatlich übergeordneten Richter geschehen müsse. Die staat-
liche Autorität, welche den ersten Ausspruch gethan, kann nur durch eine höhere
staatliche Autorität korrigirt werden. Daher war die Germanische Urtheilsschelte
noch kein R. im eigentlichen Sinn (anderer Meinung: Wetzell, § 54 zu N. 5
ef. § 59 i. f.), denn sie zog die Sache nicht nothwendig an einen staatlich über-
geordneten Richter (Planck, Deutsche Gerichtsverfassung, I. S. 284). Erst das.
Römische Recht brachte uns R.; unser Deutsches hatte in der Urtheilsschelte erst den
Ansatz zu solchen (Wach, Vortr., S. 178). Aber auch im Römischen Recht konnten
eigentliche R. erst entstehen, als mit dem Kaiserthum die republikanische Gleichheit
aufhörte und eine Stufenfolge von niederen und höheren Staatsbeamten mit dem
Princeps an der Spitze vorhanden war (Savigny, System, VI. S. 291 ff.).
Jetzt erst entwickelte sich die altrepublikanische appellatio zum wirklichen R. gleichen
Namens (Savigny, I. c. S. 485 ff.: „Appellatio und provocatio ): quum non
oporteat ad compares judices appellationes referri, sed a minore judicio in majus
tribunal ascendere (nov. 23 c. 4). Vollständig mit diesen Resultaten aus der
Natur der Sache und aus der Geschichte harmonirt der Begriff der R., wie die
Motive zur Deutschen CPO. im § 11 der „Allgemeinen Begründung"“ ihn aufstellen
und das Gesetz selbst ihn festhält: „prozessualische Rechtsbehelfe, wodurch Entscheidungen,
welche die Rechtskraft noch nicht beschritten haben, vor einem höheren Richter an-
gefochten werden.“ Der Gemeine Prozeß und andere Rechte fassen freilich den Be-
griff der R. weiter. Sie streichen das Requisit des höheren Richters; sie ziehen
außerdem auch die Mittel, wodurch man rechtskräftige Entscheidungen noch an-
fechten kann, sei es weil sie in Wahrheit keine zu Recht bestehenden Urtheile sind —
Nichtigkeitsbeschwerde (s. diesen Art.) —, sei es weil sie obwol dem jus.
strictum doch nicht der aequitas entsprechen — Wiedereinsetzung ((. den Art.
Wiederaufnahme) — in den Begriff der R. herein, obwol dieselben eigentlich
überhaupt keine prozessualischen Rechtsbehelfe sind, sondern civilrechtliche „Klagen,
welche in Folge ihrer Richtung gegen ein Urtheil nebenher die Oualität von R.
angenommen haben“ (Wetzell, System, 3. Aufl. S. 670). Wie aber danach der
Begriff der R. positiv zu fassen sei, darüber konnte man sich nicht einigen. „Zu
den vieldeutigsten, vielgedeutetsten und daher schillerndsten Ausdrücken der prozessualen
Nomenklatur gehören die termini technici „R.“ und „Rechtskraft“, sagt mit Recht
Bolgiano (Arch. LIX. S. 420; vgl. Motive zur Deutschen CPO. J. c.). Warum
dann aber, wie er es der Deutschen CPO. gegenüber versucht, dem Gesetz mit seinem
sesten Begriff den schwankenden der Theorie octroyiren wollen? Das heißt einen
schlechten Tausch zumuthen und kann nur zur Verwirrung führen. Man vgl. z. B.
§#§ 248 Abs. 2, 276 Abs. 2, 503 Abs. 3, 562 Abs. 3, 554, 645 der RPO.:
es ist absolut nöthig, weil von der größten praktischen Bedeutung, hier überall —
auch dem § 554 gegenüber, trotz Bolgiano, Zeitschr. für Deutschen Civ. Prz., III.
S. 201 sub 3 — daran festzuhalten, daß nur Berufung, Revision und Beschwerde
R. im Sinne der RPO. sind, nicht auch Einspruch, Nullitäts= und Restitutions-
klage, wenn auch nicht geleugnet werden soll, daß diese Rechtsbehelfe Manches mit
den R. gemein haben (s. unten). Lediglich um der Rechtsgeschichte und der Rechts-
vergleichung willen hat die Wissenschaft zu betonen, daß der Begriff der R., da er
kein historisch unmittelbar gegebener ist, auch weiter, als die Deutsche CPO. es thut,
gefaßt werden kann und bisher meist gefaßt worden ist. Der weitere Begriff des
Gemeinen Prozesses lautete nach Wetzell, l. c. S. 668: „Anspruch einer Partei auf
Abänderung einer sie in ihrer Stellung zur Gegenpartei benachtheiligenden richter-
lichen Verfügung."“
II. Um nun die Vielheit der R. im positiven Recht im Allgemeinen sich zu
veranschaulichen, erwäge man Folgendes: Die R. dienen, wie schon angedeutet, einem
doppelten Interesse: dem der Parteien, welche sie gegen Verletzungen durch richterliche
Willenserklärungen schützen; zugleich aber auch dem öffentlichen Interesse, indem sie