Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

296 Rechtsmittel. 
noch eine Revision ex ofticio der Obergerichte vor, welche aus dem Oberaussichts- 
rechte des Staates abgeleitet wurde. 
Im Englischen Recht dienen als R.: 1) writ of certiorari, durch welches. 
die Entscheidung entweder der gangen Sache oder einer einzelnen Rechtsfrage vor dem 
höchsten Gerichtshofe Queen's bench ermöglicht wird; 2) motion in arrest of judge- 
ment, durch welchen Antrag in Fällen einer mangelhaften Prozedur die richterliche 
Entscheidung nach ergangenem Spruch der Geschworenen aufgehalten werden kann. 
Wird der Antrag angenommen, so muß in einer neuen Verhandlung auch ein neues 
Geschworenenverdikt erfolgen; 3) writ of error (Nichtigkeitsbeschwerde), welches eine 
Aufhebung, mit der meist Freisprechung verbunden ist, und neuerdings auch eine Ab- 
änderung des früheren Urtheils herbeiführen kann; 4) motion for a ne trial. 
Dieser Antrag auf Anberaumung eines neuen Termines kann zwar bei jeder Rechts- 
verletzung, aber nur in Vergehens= nicht auch Verbrechensfällen gestellt werden und 
unterliegt auch sonst manchen Einschränkungen. Außerdem kann neuerdings die Ent- 
scheidung einer streitigen Rechtsfrage ausgesetzt werden, der Art, daß das gleichwol 
in der Hauptsache gefällte Urtheil bezüglich seiner Rechtsbeständigkeit von der Ent- 
scheidung über die in suspenso gelassene Rechtsfrage abhängt. Näheres bei Glafer, 
Anklage, Wahrspruch und R. 2c., S. 424 ff. 
Das Französische Recht steht auch in dieser Materie dem Ingquisitions- 
prozesse weit näher als das Englische. Es erscheinen als R.: 1) Opposition, d. h. 
Einspruch gegen eine richterliche Verfügung einschließlich des Urtheils, welche ohne 
Anhörung des von der fraglichen Maßregel Betroffenen ergangen war. Derselbe hat 
keinen Devolutiv-Effekt. 2) Appel, Berufung, welche dazu dient, eine Abänderung 
unrichtiger Verfügungen oder Entscheidungen durch den höheren Richter herbei- 
zuführen. Sie kann von allen Betheiligten, jedoch nicht gegen Urtheile der tri- 
bunaux de simple police, welche eine Geldstrafe von höchstens 5 Francs verhängen, 
und niemals gegen Urtheile der Geschworenengerichte, innerhalb einer bestimmten 
Frist ergriffen werden und hat Devolutiv= und Suspensiv-Effekt. Das Appellations-= 
gericht (Chambres correctionelles für die Polizeigerichte — Cours d'appel für die 
Chambres correctionelles) entscheidet nach vorgängiger mündlicher Verhandlung, in 
welcher beliebig nova vorgebracht werden können. 3) Demande en Cassation 
(Nichtigkeitsbeschwerde), die allen Prozeßbetheiligten jedoch nur dann zusteht, wenn 
Berufung entweder nicht möglich oder schon verbraucht ist. Ueber sie entscheidet 
ausschließlich der höchste Gerichtshof (cour de cassation). 4) Demande en réyision, 
der nur in sehr beschränktem Maße zulässige Antrag auf Wiederaufnahme des Ver- 
fahrens nach rechtskräftigem Urtheil. — Außerdem kann der Generalprokurator 
dafür Sorge tragen, daß Urtheile, welche gegen das Gesetz verstoßen und nicht an- 
gefochten worden sind, durch den Kassationshof für nichtig erklärt werden, sans pré- 
judice du droit des parties intéressées. 
Die neuen Deutschen Strafprozeßgesetze (seit 1848) haben sich meist an das 
Französische Recht angelehnt. Als hauptsächlichste R. kommen Berufung und 
Nichtigkeitsbeschwerde in Betracht; über Näheres vgl. Zachariä, II. S. 616 ff. 
Die Oesterreichische StrafC-O. gewährt als R.: 1) Beschwerde gegen 
richterliche Verfügungen, welche in der Regel Devolutiv= aber keinen Suspensiv- 
effekt hat (vgl. z. B. §§ 45, 49, 63, 64, 113, 114, 197, 352, 357, 392, 
395, 480, 481, 489, 491, 494). 2) Einspruch gegen die Versetzung in den An- 
klagestand (§§ 208 ff., vgl. § 421), für Zeugen und Sachverständige gegen eine 
Verurtheilung wegen Ausbleibens (§ 243), gegen ein Kontumazialerkenntniß (§ 427, 
vgl. § 478), gegen ein Strafmandat (§ 462), gegen eine richterliche Entscheidung 
im sogen. objektiven Strafverfahren in Preßsachen (§ 493). 3) Berufung, welche 
der Regel nach nur gegen den Ausspruch über die Strafe (§ 283) und in schwur- 
gerichtlichen Verhandlungen auch wegen der Entscheidung über privatrechtliche Aus- 
sprüche (§ 345) ergriffen werden kann. Nur für die Urtheile der Bezirksgerichte
	        
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