308 Recursus ab abusu.
Staatsbeamten die öffentliche Ausübung des Kultus oder die den Geistlichen durch
die Gesetze und Reglements garantirten Freiheiten beeinträchtigen. — In Deutsch-
land war zu Zeiten des Deutschen Reichs ein solcher Rekurs ebenfalls als Deutsches
Gem. Recht anerkannt, indem die Befugniß des Kaisers, gegen den Mißbrauch der
geistlichen Amtsgewalt einzuschreiten, auf seine Stellung als advocatus ecclesiae
gegründet wurde. Die beiden höchsten Deutschen Reichsgerichte haben über eine
Reihe von solchen Rekursen entschieden, jedoch konnten die Beschwerden auch an den
Kaiser direkt oder durch Vermittelung des Reichstages, des Kurfürstenkollegiums und
der Corpora Catholicorum und Evangelicorum gebracht werden. Zur Erhebung
des Rekurses war sowol der Verletzte als auch der Reichsfiskal befugt. Uebrigens
war die Anrufung des Kaisers gleichmäßig gegen Uebergriffe der katholischen Kirchen-
beamten wie der protestantischen, namentlich der protestantischen Landesherren als
Träger der obersten Kirchengewalt, gestattet. Das neuere Deutsche Partikular-
Staatskirchenrecht, welches bis zu den Bewegungen des Jahres 1848 die
Ausübung der aus der staatlichen Souveränetät herfließenden Kirchenhoheit von
einem mehr polizeilichen Standpunkte aus geregelt und daher ein System von
gegen die Kirche anwendbaren Präventivmaßregeln ausgebildet hatte, ist in Bezug
auf den hier in Rede stehenden Punkt lückenhaft, weil man nach Aufgeben jenes
Präventivsystems es vielfach versäumt hat, ein genügendes Repressivsystem gegen den
Mißbrauch der geistlichen Gewalt zu entwickeln. Das Bayer. Religionsedikt von
1818, §§ 52 ff., gestattet den Genossen einer Kirchengesellschaft, welche durch Hand-
lungen der geistlichen Gewalt gegen die festgesetzte Ordnung beschwert werden, den
Rekurs bei der einschlägigen Regierungsbehörde oder bei dem König unmittelbar
anzubringen. Ueber die Rekurse befindet das Ministerium des Innern für Kirchen-
und Schulwesen, und zwar in der Regel nur nach Vernehmung der betreffenden
geistlichen Behörden. Daß auch die Regierungsbehörden selbst gegen einen Amts-
mißbrauch einschreiten können, ist mehr vorausgesetzt als ausgesprochen. Für die
oberrheinische Kirchenprovinz hat das gemeinsame Edikt vom 30. Jan. 1830
§ 36 „den Geistlichen, sowie den Weltlichen, wo immer ein Mißbrauch der geist-
lichen Gewalt gegen sie stattfindet, den Rekurs an die Landesbehörden gestattet",
und der gemeinsame Erlaß vom 1. März 1853 hat hierin nichts geändert. In
Württemberg gilt diese Bestimmung heut noch unzweifelhaft, da hier das Gesetz
von 1862, betr. die Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zur katholischen
Kirche, nur die ihm widersprechenden früheren Bestimmungen aufgehoben hat und
dasselbe das staatliche Aufsichts= und Schutzrecht festhält. Für Baden ist dasselbe
trotz der nicht geschickt gefaßten kassatorischen Klausel des Gesetzes vom Jahre 1860
über die rechtliche Stellung der Kirchen („alle Gesetze und Verordnungen, die mit
obigen Bestimmungen nicht vereinbar sind, werden aufgehoben“) anzunehmen. Ebenso
entsteht für die früher selbständigen Gebiete von Kurhessen, Nassau und
Frankfsurt a. M., welche gleichfalls zur oberrheinischen Kirchenprovinz gehören,
seit Einführung der Preußischen Verfassung, welche eines Rekurses nicht ge-
denkt, die Frage, ob jene Bestimmung des Edikts beseitigt ist. Da indessen die
gedachte Verf. Urk. kein Aufgeben des staatlichen Hoheitsrechtes über die katholische
Kirche und überdies keine Autorisation für dieselbe, die Gesetze zu verletzen, enthält,
so wird man die Frage verneinen müssen. Auch wird man für Altpreußen selbst
Mangels einer besonderen Bestimmung die Beschwerde wegen Mißbrauchs der Amts-
gewalt bei der Regierung Niemandem untersagen können. Die Verfassung für das
Königreich Sachsen enthält, ähnlich wie die älteren Verfassungen einiger kleineren
Deutschen Staaten, nur die Vorschrift: „Beschwerden über den Mißbrauch der kirch-
lichen Gewalt können auch bis zu der obersten weltlichen Staatsbehörde gebracht werden“.
Erst in neuerer Zeit hat der Rekurs, jetzt „Berufung“ genannt, eine besondere Regelung
in dem für die Preußische Monarchie geltenden Gesetze über die kirchliche Disziplinar=
gewalt vom 12. Mai 1873 für diejenigen Fälle gefunden, wo diese den Vorschriften