Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Reformatio in peius. 317 
einer Freisprechung folgern wollte, falls die geringere Qualifikation als rechtsirrthümlich 
erscheint (Löwe, l. c.; v. Kries, S. 114). Es wird vielmehr das erste Urtheil un- 
verändert bleiben müssen, denn ein darin begangenes Versehen kann die Aufhebung 
nur dann veranlassen, wenn es den Remedenten beschwert. Damit erledigt sich auch der 
von Löwe hervorgehobene Fall, daß der zweite Richter in die Lage kommen könnte, 
eine gesetzlich unzulässige Strafe zu verhängen, z. B. wenn wegen Unterschlagung 
zu einer Geldstrafe verurtheilt war und er Diebstahl annähme. — Von Einfluß 
ist der erwähnte Unterschied auch dann, wenn in erster Instanz eine Gesammtstrafe 
verhängt wurde, während in zweiter theilweise Freisprechung erfolgte. Die Nicht- 
berücksichtigung der letzten bei Ausmessung der Gesammtstrafe stellt eine Aenderung 
zum Nachtheil des Angeklagten dar, denn dasselbe Endresultat hätte nicht erreicht 
werden können, wenn das zweite Urtheil die noch übrig bleibenden Einzelstrafen nicht 
anders behandelt hätte, als das in erster Instanz geschehen (vgl. Erk. des Reichsger. 
vom 30. Oktober 1879, Rechtspr. I, S. 25; auch Oppenhoff, Straf GB., S. 207 
N. 28, 212 N. 3; Olshausen, Kommentar zum Straf GB., S. 328 N. 1). 
Natürlich kann der Verurtheilte nicht verlangen, daß der volle Betrag der nunmehr 
sortfallenden Einzelstrafe von der Gesammtstrafe in Abzug gebracht werde, eine r. i. p. 
liegt nicht vor, wenn die noch bestehenbleibende Einzelstrafe in ihrem vollen Umfange 
verhängt wird, oder eine etwa noch nöthige Gesammtstrafe den Betrag der ver- 
wirkten Einzelstrafen nicht erreicht und eine Reduktion mit Rücksicht auf die fort- 
gefallene Strafe stattgefunden hat. — Gegenüber dem Verbote, eine härtere Strafe 
zu verhängen, muß dagegen die Gesammtstrafe als Einheit erscheinen, ohne daß es 
auf die einzelnen Faktoren ankäme, aus welchen sie sich zusammensetzte. So Löwe 
S. 639 N. 4b; Keller, S. 408; Puchelt, S. 584 N. 4; vgl. Erk. des Reichsgerichts 
vom 12. Juli und vom 22. September 1880; Rechtfpr. II. S. 186 und 239. — 
Ein weiterer als der durch die abweichende Fassung von §§ 372 und 398 bedingte 
Unterschied besteht in Bezug auf die r. i. p. zwischen Berufung und Revision nicht. 
So gilt das betreffende Verbot auch dann, wenn der Berufungsrichter die Sache zur 
Entscheidung an die erste Instanz zurückverwies (§ 369 A. 2). Anderer Meinung: 
v. Kries, S. 118, weil sich in dem 3. Abschnitte kein Hinweis darauf fände, daß 
§ 398 A. 2 analog zur Anwendung kommen solle. Einer Analogie bedarf es aber 
gar nicht, weil das in § 372 enthaltene Verbot ganz allgemein gegeben ist, ohne 
daß der Gesetzgeber auf die Möglichkeit der verschiedenartigen Erledigung besondere 
Rücksicht genommen hätte. 
Eine härtere Strafe kann also in keinem Falle verhängt werden. Dies Verbot 
bezieht sich auch auf die Verbindung mit einer Nebenstrafe, die Ertheilung der Be- 
fugniß zur Publikation des Urtheils 2c., auch darf die Anrechnung einer etwa er- 
littenen Untersuchungshaft in zweiter Instanz nicht abweichend von dem ersten 
Urtheile unterbleiben (vgl. Erk. des Reichsgerichts vom 4. Dezember 1880; Rechtspr. 
II. S. 602). Ebensowenig wäre eine Umwandlung der Strafe, abgesehen von der 
einer Geldstrafe für den Unvermögensfall, zulässig und könnte der zweite Richter, 
wenn er statt einfachen Diebstahls schweren annähme, statt auf 18 Monate Gefängniß 
auf 1 Jahr Zuchthaus erkennen. Trotz des § 21 des Straf GB. ist, ganz abgesehen 
davon, daß Zuchthausstrafe wegen der nothwendigen und möglichen damit ver- 
bundenen Ehrenfolgen (§§ 31, 32, vgl. auch § 20 des Straf G.) schwerer als jede 
andere erscheint, schon wegen der Art der Vollstreckung, Zuchthaus härter als Gefängniß 
und Gefängniß härter als Festungshaft. 
Etwa denkbare schädliche Folgen des Verbotes der r. i. p. können deshalb nicht 
eintreten, weil der Staatsanwalt geeigneten Falles durch Ergreifung von Rechts- 
mitteln dafür sorgen wird, daß der Richter das Urtheil auch zu Ungunsten des 
Angeklagten abzuändern vermag. Jedoch wird man eine solche Wirkung des von 
der Staatsanwaltschaft ergriffenen Rechtsmittels nur dann annehmen dürfen, wenn 
dasselbe nicht als unbegründet zurückgewiesen wird. So Geyer, S. 835; Bom-
	        
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