Religionsverbrechen. 425
Recht gewissen R. besondere Vorrechte einräumen und für die so bevorrechteten
Kirchen jene Terminologie adoptiren, wie dies z. B. die Bayer. Gesetzgebung thut.
Ueber die Bildung von R. und die Korporationsqualität derselben besteht in
Deutschland sehr verschiedenes Partikularrecht. Man kann nach dem geltenden Rechte
die R. dreifach gruppiren:
J. Landeskirchen: als solche sind prinzipiell die evangelische Kirche überall,
in den meisten Staaten auch die katholische anerkannt; zur katholischen Kirche ge—
hören in Preußen, Baden, Hessen auch die altkatholischen Gemeinschaften; in Baden
und Württemberg bilden auch die Juden eine „Landeskirche“, in Bayern sind die
griechischen Katholiken „öffentliche“ Korporation mit bestimmt fixirten, nur den
Landeskirchen zukommenden Rechten.
II. R. mit Korporationsqualität: neben den sub I. bezeichneten R. haben
Korporationsrechte noch: 1) in Preußen: die Mennoniten, Juden, Herrenhuter,
Baptisten, Altlutheraner, Böhmischen Brüder? 2) in Bayern: die Juden; 3) in
Sachsen: die Juden und Deutschkatholiken; 4) in Württemberg: die Herrenhuter
und Deutschkatholiken; 5) in Baden: die Deutschkatholiken.
III. R. ohne Korporationsqualität.
Zur Erlangung der Korporationsrechte bedarf es in Preußen und Sachsen eines
Staatsgesetzes, in Bayern, Württemberg, Hessen besonderer Verleihung, aber nicht
der Form des Gesetzes. Andere R. können sich in Hessen, Baden, Württemberg frei
bilden, dürfen aber nicht gegen Staatsgesetze oder gegen die Sittlichkeit verstoßen,
in Preußen ist die Bildung gleichfalls frei, doch müssen die Statuten der Orts-
polizeibehörde vorgelegt werden, in Bayern und Sachsen bedarf die Gründung von
Religionsvereinen königlicher Genehmigung nach vorheriger Vorlage der Statuten.
Den strafrechtlichen Schutz gegen öffentliche Beschimpfung ihrer selbst, sowol
als ihrer religiösen Gebräuche und Einrichtungen gewährt das RStraf GB. allen R.,
die mit Korporationsrechten ausgestattet sind; den strafrechtlichen Schutz gegen Ver-
übung beschimpfenden Unfugs in gottesdienstlichen Lokalitäten, sowie gegen vorsätz-
liche Verhinderung oder Störung des Gottesdienstes aber überhaupt allen R.
Gsgb.: Preuß. Edikt vom 30. Juli 1789; Gesetz vom 11. März 1850; Gesetz vom
12. Juni 1874 (Mennoniten): Gesetz vom 7. Juli 1875 (Baptisten); Preuß. Verf. Urk.
Art. 12, 13, 30, 31. — Bayer. Rel. Edikt von 1818 (2. Verf. Beil.) §§ 3, 26 ff.; Bayer.
Verf. Gesetz vom 1. Juli 1834. — Sächs. Verf.Urk. 8 56; Geses, vom 2. Novbr.
1848; Gesetz vom 20. Juni 1870 § 21. — Bad. Gesetz vom 9. Okt. 1860 § 3. —
Kea. Gesetz vom 23. April 1875 Art. 2, 3. — Ueber die ältere Gsgb. vgl. Moser, Allgem.
irchenblatt 1852 S. 434 ff.; 1853 S. 162 ff. — Rötraf GB. §§ 166, 167.
Lit.: Richter-Dove, Kirchenrecht, §§ 72, 99, 229. — Mejer, Kirchenrecht, §§ 90,
98. — Hermann, leber die Stellung der Religionsgesellschaften im Staate. — Aeltere Lit.
über die Rechtsentwickelung ist bei Richter-Dove angeführt. Sehr eingehend handelt über
Religionsvereine und deren Rechtsverhältnisse nach den geltenden Deutschen Partikularrechten
Thudichum, Deutsches Kirchenrecht, I. 125—140; ferner Jacobson in Ztschr. f. Kirchen-
recht von Dove und Friedberg, I. 422 ff. Zorn.
Religionsverbrechen. Die alten R. waren Gotteslästerung, Abfall vom
christlichen Glauben, Ketzerei, Verbreitung religiöser Irrlehren und Sektenstiftung,
Zauberei, Hexerei, Wahrsagerei u. dgl., der Falsch= und Meineid; Störung des
Gottesdienstes und des Religionsfriedens, welche letzteren Verbrechen erst in dem
neueren Strafrecht nähere Bestimmtheit erhalten. Aus vorwiegend kirchlichem Stand-
punkte wurden alle jene Verbrechen ausgefaßt, die mit einer Verletzung der Religions-=
pflicht verknüpft erscheinen, wie Kirchendiebstahl, Entweihung von Gräbern und
Leichen, Bigamie, Selbstmord, Inzest, Sodomie. Seit der Aufklärungszeit ver-
schwinden aus dem Strafrechte und Landesgesetze des Staates die Verbrechen der
Ketzerei, der Hexerei. Das Josefinische Gesetzbuch von 1787 behandelte auch die
Gotteslästerung als polizeiliches Unrecht, von der Ansicht geleitet, daß Gott kein
Rechtssubjekt sei. Meineid wird nicht als selbständiges R. betrachtet, insofern das
Erforderniß der Gerichtlichkeit als wesentliches Verbrechensmerkmal bestimmt ist.