466 Retraktionsrecht — Reunionsklage.
Beleidigung und leichter Körperverletzung kann nach § 238 außerdem noch der Fall
eintreten, daß der eine Theil eine der Art oder dem Maße nach mildere Strafe als
der andere enthält, und zwar ist der Richter weder an das angedrohte Minimum
der Strafart, noch an diese selbst gebunden, er kann also auch auf Haft und Geld-
strafe erkennen, wo diese nicht angedroht sind. — Die Berücksichtigung der R. erfolgt
von Amtswegen; es kann wol darauf angetragen, aber nicht verzichtet werden. Auch
ist nicht erforderlich, daß wegen der beiden strafbaren Handlungen Anträge auf
Strafverfolgung gestellt sind. Bei Vertheidigung gegen eine Anklage kann man sich
auf die R. berufen, felbst wenn die dreimonatliche Antragsfrist für die betreffende
Beleidigung oder Körperverletzung schon abgelaufen ist oder die Strassache sich in
höherer Instanz befindet. Dem straffrei Erkannten darf die Zahlung einer Buße
nicht auferlegt werden, dagegen ist die Verurtheilung eines oder beider Theile in die
Kosten dadurch nicht ausgeschlossen, daß einer derselben oder beide für straffrei er-
klärt werden (Straf O. 8 500).
Lit.: Weber, Ueber Injurien u. Schmähschriften, Bd. II. u. 15. — v. Wächter, Lehrb.,
8 158. — Hekter- Lehrbuch, n. 311. — Mittermaier, Zu Feuerbach's Lehrb., § 296 a. —
Berner, Lehrb. (11. Aufl.), S. 457 ff. — Schütze, Lehrb. (2. Aufl.), S. 3F70. — H. Meyer,
Lehrb. (2. Aufl.), S. 391 ff., 437. — v. Liszt, Reichsstrafrecht (1880), S. 240 ff., 327. —
Dochow und Geyer in v. Holtzendorff's Handbuch, Bd. III. S. 369 ff. und 550 ff. —
Carrara, Progr. del corso di diritto crim., vol. III. 88 1758 ss., 1838 ss. — Köstlin,
Abh., S. 82 ff. — v. Buri, Abh., S. 90 ff. — Geyer im Gerichtssaal Bd. XXVI.
S. 321 ff. — Hälschner, Preuß. Strafrecht, Bd. III. S. 282. — Goltdammer, Mater.,
Bd. II. S. 322 ff. — Krug, Kommentar zum Sächs. Straf GB. zu Art. 243. — Puchelt,
Bad. Straf GBB., S. 457 ff. — In Betreff des Deutschen Straf GB. bes. die Kommentare von
Oppenhoff und v. Schwarze. Dochow.
Retraktionsrecht, so wurde vereinzelt das in der Praxis des Gem. Civ.Prz.
den Anwälten und Advokaten an den Manualakten und den sonstigen ihnen über-
gebenen Dokumenten bis zu Befriedigung wegen ihres Honorars und ihrer Auslagen
beigelegte Retentionsrecht genannt. Dasselbe ist übrigens auch in der Deutschen
Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 § 32 ausdrücklich anerkannt.
P. Hinschius.
Reugeld, s. Arrha.
Reunionsklage (Th. I. S. 489) wird die Vindikation genannt, mit welcher
die gesetzwidriger Weise veräußerten Theile eines untheilbaren Bauerguts aus der
Hand des Erwerbers, wie jedes dritten Besitzers zurückgefordert werden können. Sehr
häufig ist nämlich in Deutschland seit dem 16. Jahrh. durch die Partikulargesetz-
gebung die Parzellirung bei Bauergütern verboten. Findet nun dem Verbot zuwider
dennoch eine Theilung und Veräußerung eines solchen Theiles statt, so ist diese
nichtig, und der veräußerte Theil ist der Vindikation unterworfen. Berechtigt zur
Anstellung der Klage ist der Besitzer des Bauerguts, bei abhängigen Bauergütern
auch die Gutsherrschaft; nach den meisten Schriftstellern sogar (jedoch mit Unrecht)
der Veräußerer und dessen Erben. Eine exceptio rei venditae et traditae wird
diesen gegenüber nicht für zulässig gehalten, und nur zum Ersatz des Kaufpreises
sollen dieselben verpflichtet sein. Diese Ersatzpflicht liegt den übrigen Klageberech-
tigten nach Gem. Recht nicht ob, obwol sie partikularrechtlich meist angeordnet ist.
Die Einrede des Verzichts und des Vergleichs kann der Klage nicht entgegengesetzt
werden. Ob hinsichtlich der Verjährung dasselbe gilt, ist streitig. Mittermaier,
Hillebrand, Walter verneinen die Zulässigkeit der Einrede; Eichhorn und
v. Gerber bejahen dieselbe. Wo durch die neuere Gesetzgebung die Theilbarkeit der
Bauergüter wiederhergestellt ist, da ist die R. fortgefallen.
Lit.: Leyser, Medit. ad pand. spec. 100 med. 1. — Strube, Rechtliche Bedenken,
Bed. I. 23, 43, 75; Bed. III. 135, Bed. IV. 127. — Seuffert's Arch. XV. Nr 4.
ewis.