500 Rudhart.
Gesetzgeber zu einer Aenderung des Strafrechts schreitet, giebt er nicht ein abfälliges
Urtheil über das Werk seines Vorgängers, maßt sich nicht ein Besserverstehen an;
er geht vielmehr davon aus, daß der gesellschaftliche Zustand ein anderer geworden
und daß diese Wandlung auch eine Wandlung der Strafgesetzgebung bedinge. Eine
Handlung, die ehedem den rächenden Arm des Strafrichters erheischte, kann jetzt
vielleicht vor dem Strafgesetz ungeahndet vorübergehen und umgekehrt (unerlaubte
Selbsthülfe, Kanzelparagraph, Sozialdemokratie u. s. w.). Was aber für das Ob,
gilt auch für das Wie
Aus dieser Erwägung folgt die grundsätzliche Richtigkeit des ersten Standpunkts.
Die beigefügte Ausnahme wurzelt in einer Humanitätsrücksicht, welche auch der An—
wendung einer von der gegenwärtigen Gesetzgebung verworfenen Strafart entgegen-
tritt, obwol hierfür noch andere Gründe sprechen. Die hier vertretene Ansicht hat
dem Ergebnisse nach im Deutschen Straf GB. Anerkennung gefunden. Dasselbe stellt
als Regel auf: eine Handlung wird mit derjenigen Strafe belegt, welche auf sie zur
Zeit ihrer Begehung gedroht war. Hat jedoch in der Zeit zwischen der Begehung
und der Aburtheilung ein milderes Strafgesetz Geltung erlangt, so kommt dieses zur
Anwendung, sollte es auch im Zeitpunkt der Urtheilsfällung wieder außer Kraft
getreten sein (RStrafG B. § 2, vgl. mit § 4 letzter Absatz). Ob ein Strafgesetz
milder ist als ein anderes, bemißt sich nach dem Gesammtergebniß, zu welchem die
Anwendung eines jeden Gesetzes führt. Immer darf nur auf eine im Rötraf GB.
aufgenommene Strafart erkannt werden (EG. zum RStraf G. § 6).
2) Neue Prozeßgesetze bestimmen im Zweifel das Verfahren bei allen fortan
der richterlichen Entscheidung unterstehenden Fällen, auch bei denjenigen, welche zur
Zeit des Inslebentretens des neuen Gesetzes schon gerichtshängig waren. Indeß
pflegen für die letzteren Sachen die Einführungsgesetze eine minder schroffe Grenz-
scheidung zwischen dem alten und dem neuen Gesetz zu treffen, um Verwickelungen
fern zu halten, welche sich aus der Anwendung beider Gesetze auf die verschiedenen
Abschnitte des Prozesses leicht ergeben. Vgl. EßG. zur RStrafP- O. §§ 8—12 mit E.
zur RCPO. 8§ 18—23. Die Rechtssätze über die Verjährung der Ansprüche (und
Strafen) sowie über die Beweislast gehören zum materiellen Recht (Entsch, des
ROPHG. XI. S. 339, XIV. S. 258).
Lit.: Savigny, System, Bd. VIII. S. 368 ff. (1849), wo auch Nachweise. über die
ältere Lit. — Scheurl, Beiträge zur a des Römischen Rechts, Bd. I. Nr.
(1853). — Lassalle, Das System der erworbenen Rechte, Bd. I. (1861). — —
Schmid, Die erschaß der Gesetze nach ihren räumlichen und zeitlichen Grenzen, S. 101
bis 148, 186—254 4 (1863). — Rintelen, Ueber den Einfluß neuer Gesetze auf die zur Zeit
ihrer Emanation bestehenden Rechtsverhältnife= 93 7 — Brinz, Pandekten (2. Aufl )
§ 21. — Kierulff, Theorie, S. 63— dscheid, Pandekten, 88 31—33. —
Roth, Deutsches-Pripatrecht, 850; reetn B in Civilrecht, § 15. — Stobbe, Deutsches
Privatrecht, §§ 27, — Goldschmidt, Handbuch des Handelsrecht= 8 39. — Förster,
Preuß. Privatrechi, 10. — Unger, Hesterr. Privatrecht, 56 20, 21. — Zachariä,
Französ. Civilrecht, 30. — Seeger, Ueber die rückwirkende KWet neuer Straf T
1862. — v. Schwarze in v. Holtzendorff's SHandbuch des Deutschen Steasrecht,
S. 25—30. — Binding, Die Normen, Bd. I. 78—96. — Berner, Lehrb.,
Geibe Lehrbuch, II. § 69. — Meyer, Secn 8 20. — Schüten Lehrbuch, 9 11. —
Wächter, Das Sächsische und das Thüringische Strafrecht, 7 ff. — Dochow in
P Holtzendorff's Handbuch des Deutschen Ctrafprozehrechte, Bd. I. S. 136. — Motive
zum Entwurf des EG. zur RCO. 1874 § 15 (S. 489/90). F. Regelsberger.
Rudhart, Ignaz, 3 11. III. 1790 zu Weißenau (Oberfranken), stud. in
Bamberg und Landshut, 1811 Professor in Würzburg, trat 1817 wegen Gesund-
heitsverhältnissen in den Staatsdienst über, zunächst als Fiskalrath, 1819 Ministerial-
rath im Finanzministerium, 1823 Regierungsdirektor. 1825 zum ersten Mal in
die zweite Kammer gewählt, nahm er an den Sessionen von 1825 und 1828, sowie
an den stürmischen und verhängnißvollen von 1831 und 1834 einen auch als
Redner glänzend hervorragenden Antheil. Er vertrat die Interessen der Freiheit