Schulting — Schulzwang. 615
Lit.: Vgl. vorzugsweise L. v. Stein, Die innere Verwaltung (V. Theil der Ver-
waltungslehre: Das Bildungswesen) und K. A. Schmid, Encyklopädie des gesammten Er-
ziehungs= und Unterrichtswesens (seit 1859) in den betr. Artikeln. Gneist.
Schulting, Anton, 5 1659 zu Nymwegen, studirte in Leyden, wurde 1694
Professor in Harderwyk, 1713 in Leyden, k 1734.
Schriften: Diss. de recusatione judicis, Fran. 1708; Lugd. Bat. 1714. — Enarratio
Part. Iae Dig., Lugd. Bat. 1720. — Jurisprudentia antejustinianea, Lugd. Bat. 1717; Lips.
1837. — Thesium controv. decades C., 1738. — Commentationes academicae, ed. Uhlius,
Hal. 1770—1774. — Notae ad Digesta, ed. Smallenburg, Lugd. Bat. 1804—1835.
Lit.: Rivier. — Haubold. — Hugo. Teichmann.
Schulzwang. Der S. oder die allgemeine Schulpflicht ist im Laufe
der letzten Jahrzehnte in allen Kulturstaaten Europa's als ein Streitpunkt der
politischen und kirchlichen Parteien in den Vordergrund getreten. Seine Entschei-
dung hängt von der Vorfrage ab, ob der Staat sich auf den sog. Rechtszweck zu
beschränken, oder ob der Kulturzweck zu seinen wesentlichen Aufgaben gehört.
Schon das Mittelalter hat diese Frage bejaht, indem es für die geistige und sittliche
Hebung des Volkes einen eigenen Berufsstand und ein eigenes Staatswesen bildete
in der monarchischen Verfassung der Römisch-katholischen Kirche. Der kirchliche
Staat unterscheidet auch bereits eine Elementar= und eine Berufsbildung. Die
letztere bietet er in reichem, aber ungleichem Maße in seinen gelehrten Schulen der
freien Benutzung des Laienthums an. Für den ersteren behauptet er eine er-
zwingbare Verpflichtung aller Laien, die Heilswahrheiten und Sittengebote sich
von der Kirche lehren zu lassen, und betrachtet diese Lehre als ausreichenden „Volks-
unterricht“ überhaupt. Der Lehrzwang wird damit zum Glaubenszwang und theilt
das Schicksal der Veräußerlichung und ständischen Zersetzung der Kirche am Schluß
des Mittelalters.
Mit der Reformation beginnt der Zwiespalt des kirchlichen und weltlichen
Staates sich zu lösen: es bleibt aber noch die mittelalterliche Grundidee der staat-
lichen Einheit des Glaubens und damit das jus reformandi der Staatsobrigkeit
stehen. Erst aus dem Kampfe der verschiedenen Bekenntnisse unter einander (in
Deutschland insbesondere aus der Vereinigung katholischer, lutherischer und refor-
mirter Landesgebiete unter einem Landesherrn) entwickelt sich langsam fortschreitend
der Grundsatz der Glaubensfreiheit, der Bekenntnißfreiheit, der freien Religionsübung
und Gleichheit der Bekenntnisse, der Unterrichtsfreiheit und der Aufhebung der Censur.
Es ist die Ehre des Germanischen Geistes, an der Spitze dieser geistigen Befreiung
zu stehen, ebenso in der alten wie in der neukolonisirten Welt. Gerade in diesem
tiefer erfaßten Grundsatz der Lehrfreiheit entsteht in den Nordamerikanischen Frei-
staaten und in Deutschland, Hand in Hand damit, der Grundsatz des „S.“, und zwar
aus folgender Betrachtung.
Die abstrakte Unterrichtsfreiheit ebenso wie die abstrakte Erwerbsfreiheit bestehen.
praktisch nur für die besitzenden Klassen; für die große Mehrheit der Bevölkerung
haben sie nur eine negative Bedeutung. Die unteren Schichten der Gesellschaft haben
nicht die Mittel, oft nicht die Einsicht und den Willen, solche fakultative Freiheiten
sachgemäß und gleichmäßig zu verwirklichen. Erst von dem höheren Standpunkt der
Gemeinschaft aus lassen sich diese Mängel und Ungleichheiten überwinden. Wie der
Staat als sittliche Gemeinschaft den Beruf hat, die Lebensexistenz des Erwerbs-
unfähigen durch eine Zwangsarmenpflege zu beschaffen, so hat er den Beruf, die
geistige und moralische Existenz der unmündigen Jugend zu sichern, weil sie selbst
dafür nicht zu sorgen vermag. In Achtung vor dem Kreis der Familie überläßt
er diese Fürsorge zunächst dem Hause. Aber die Gewalten des Hauses sind nicht
mehr absolute wie im Römischen Alterthum. Wo das Gebot der Liebe und der
Pflicht im häuslichen Kreise versagt, ist im Germanischen Leben von früher Zeit an
ein Schutzberuf des Staates für die passiven Glieder des Hausverbandes zur Gel-