Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Schwurgericht. 637 
lichen Verfahrens, das Englische Recht, unter der Führung von Männern, wie Biener, 
Gneist und Mittermaier durchforscht und allmählich erst Klarheit über das Wesen 
und über die bloßen Aeußerlichkeiten des Jurysystems gewonnen wurde. Anderer- 
seits aber machte sich eine, aus der Art der Einführung der Jury erklärliche politische 
Reaktion geltend. Im Gefolge des Jahres 1848 war das S. gekommen, in Folge der 
Rückströmung ward ihm aus politischen Gründen (mitunter auch im Namen des 
Nationalitätsprinzips, als einem Theil des Französischen Wesens) der Krieg erklärt. 
So ward die Jury z. B. aus Oesterreich, wo sie vollständig, und aus dem Königreich 
Sachsen, wo sie für Preßsachen eingeführt gewesen, wieder verdrängt. Die Stellung 
war also geradezu umgekehrt: die Gegnerschaft war überwiegend politischer, die 
Vertheidigung des S. überwiegend juristisch-technischer Art. Unverkennbar aber 
gewann in den folgenden Jahren das S. sichtlich an Terrain und der steigende 
wissenschaftliche Werth der Bearbeitung des schwurgerichtlichen Verfahrens, die um- 
fassenden Leistungen der Rechtsprechung bezeugten und beförderten seine steigende 
Bedeutung. In dem Zeitpunkte, wo die ersten Anstalten für die beschlossene StrafP O. 
des Deutschen Reiches getroffen wurden, waren nur mehr kleine Deutsche Gebiete 
noch der Wirksamkeit des S. entzogen, und insbesondere hatte letzteres auch das 
Königreich Sachsen (im Jahre 1868) sich wieder erobert. Namentlich in diesem 
letzteren Gesetze, sowie in einigen anderen, welche um die Wende der Sechsziger 
Jahre erschienen (Württemberg 1868, Hamburg 1869, Bremen 1870), kamen schon 
vielfach die Verbesserungen des S. zum Ausdruck, welche als Ergebniß der Deutschen 
wissenschaftlichen Bestrebungen auf diesem Gebiete zu betrachten sind, Verbesserungen, 
welche die Französische Grundform des Verfahrens nicht verleugnen, aber doch aus 
der Vergleichung mit dem Englischen Urbild, insbesondere aus der richtigen Erkennt- 
niß des wahren Verhältnisses zwischen Gerichtshof und Jurybank, hervorgehen. 
Als nun aber der erste Entwurf der Deutschen StrafP O. erschien, so zeigte 
sich, daß die Absicht auf Beseitigung der S. gerichtet sei, und zwar ward die Er- 
reichung dieser Absicht auf einem Wege angestrebt, von dem sich im weiteren Ver- 
laufe der Erörterungen zeigte, daß er schon um unüberwindlicher äußerlicher Schwierig- 
keiten willen verlassen werden müsse. Es war nämlich in der letzten Phase der Polemik 
über die S. von den Gegnern der letzteren, in Anknüpfung an einen Altdeutschen Aus- 
druck und an die Einrichtung der Strafgerichte unterster Ordnung in einigen Deutschen 
Staaten, vorgeschlagen worden, Schöffen (s. diesen Art.) an die Stelle des S. zu 
setzen. Der Entwurf der Deutschen StrafP O. that dies nun in einer durch Kon- 
sequenz und innere Einheit des Verfahrens imponirenden und gewinnenden Weise: 
dasselbe Verfahren, dasselbe Prinzip der Konstituirung des Strafgerichtes, dasselbe 
Rechtsmittelsystem sollte für das ganze weite Gebiet des Strafverfahrens gelten. Der 
Vorschlag ward durch eingehende Denkschriften unterstützt, welche den Motiven als 
Anlagen beigefügt, die Bedenken und Gefahren der „Rechtsfindung im Geschworenen- 
gerichte“ und die Vortheile des Schöffengerichtes gründlich auseinandersetzten. Da- 
mit begann — unter der Fahne der Sonderung der Frage der Heranziehung des 
Laienelementes von der Form seiner Betheiligung — nun eine neue Epoche des 
Kampfes um das S., in welcher demselben mächtige, gewaltige Gegner sich gegen- 
überstellten und mitunter auch alte, oder auch erst vor Kurzem gewonnene Anhänger 
verloren gingen. Man kann nicht verkennen, daß die Macht des Ansturmes und 
die Lebhaftigkeit des Eifers auf der Seite der Gegner des S. sich befand und 
daß, wenn letzteres schließlich sich behauptete, es nur geschah, weil es selbst diesem 
gewaltigen Ansturme gegenüber sich als zu fest gewurzelt erwies. 
III. Nach lebhaften Kämpfen also wurde bei Feststellung der neuen Deutschen 
Reichsgesetze das S. im Wesentlichen in derjenigen Gestaltung, welche es nach 
der vorstehenden Darstellung in den späteren Deutschen Gesetzen angenommen hatte, 
beibehalten. Es ist mit großer Sorgfalt Alles geschehen, was nöthig ist, um das 
S. nicht als ein politischer Zwecke halber bestelltes Ausnahmsgericht hinzustellen,
	        
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