— 30 —
der Reichskanzler den Vorsitz nur als kaiserlicher Beamter,
nicht aber als Vertreter Preußens innehabe.
I. Wenn der Kaiser ein Bundesratsmitglied zum Reichs-
kanzler ernennt, so ist er also gezwungen, den Bevollmächtigten
Preußens zu berücksichtigen. Falls er aber jemanden ernemt,
der noch nicht Mitglied des Bundesrates ist, so muß er ihn
zugleich als Vertreter Preußens bevollmächtigen, damit die
oben festgelegten beiden Voraussetzungen gewahrt bleiben. Als
König von Preußen darf er ihm nicht die Vollmacht vorent—
halten oder sie ihm, solange er Reichskanzler ist, entziehen.“)
iu. Es ist nicht nötig, daß der Reichskansler der stimm-
führende Bevollmächtigte Preußens im Bundesrate ist. und
auch wegen seiner häufigen Abwesenheit schwer durchzuführen.
Im allgemeinen führen die preußischen Stimmen die Chefs der
Reichsressorts, im Bundesratsplenum der Vizekanzler, der
Staatssekretär des Innern. .
4.DerBorsitzunddieLeitungderGeschäftestehendem
Reichskanzler schon kraft der Verfassung zu. Eine Bestätigung
durch den Kaiser oder Bundesrat ist also nicht mehr erforder-
lich.25) Wen der Kaiser zum Reichskanzler ernannt hat;, der
hat gemäß Art. 15, Abs. 1 Reichsverf. das Recht und die Pflicht,
den Vorsitz im Bundesrate zu führen.
5. Welche Rechte dem Reichskanzler inbezug auf die Ge-
schäftsleitung gemäß Art. 15, Abs. 1 eingeräumt werden, ist,
als eine innere Angelegenheit des Bundesrates, durch die Ge-
schäftsordnung bestimmt. 27)
24) Fast alle Schriftsteller sind der Ansicht, daß der Reichskanzler
notwendigerweise preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat sein müsse,
indem betont wird, daß „der Vorsitz im Bundesrate ein von der Präsidial-
stellung des Königs von Preußen abgeleitetes Recht“ ist. (Laband, Staatsr.
S. 278.) „Dem Präsidium Preußens im Bunde entspricht das Präsidium
des stimmführenden Bevollmächtigten Preußens im Bundesrate“ (ebenda.)
Es ist auch natürlich, daß Preußen als deutscher Vormacht der Vorsitz im
Bundesrat zukommt. E
25) Ebenso Arndt, Staatsr., S. 97 f., Komm., S. 140; v. Seydel,
Komm., S. 169; Bismarck im Reichstage am 13. März 1877, Sten. Ber,
S. 127. A. A. Laband, Staatsr. I, S. 377, 278; Rosenberg, S. 10, 12.
26) v. Seydel, Komm., S. 169. — Anders im Zollvereinigungsver-
trag vom 8. Juli 1867, Art. 8, § 10.
27) Vgl. Laband, Staatsr. I, S. 280; Vogels, S. 26 f.