730 Staatsanleihen.
mäßigen, gewöhnlichen Ausgaben zum Betriebe und zur Instandhaltung des Staats-
wesens und seiner einzelnen Anstalten durch gleichmäßige Beiträge aller Staats-
bürger, d. h. durch Steuern (abgesehen von den Einnahmen aus den Domänen und
Betriebsanstalten des Staats), aufzubringen sein. Alle Ausgaben dagegen zu
dauernden Verwendungen in den Staat oder seine Anstalten und Institute, zur
Erweiterung oder dauernden Erhaltung derselben, wären durch S. aufzubringen.
Demnach wären in letzterem Wege zu beschaffen namentlich die Kosten der Anlegung
von Eisenbahnen, Kanälen, Flußregulirungen u. s. w., aber auch zum Zweck größerer
Bauten, z. B. von Gerichtsgebäuden und Gefängnissen im Falle durchgreifender
Reformen. ·
Besonders angezeigt sind S., wenn in Fällen der Noth und des
Zwanges Mittel von erheblichem Umfange erfordert werden. Dahin gehören vor
Allem die Kriegskosten, welche, wenn der Krieg ein gerechter ist, zum Schutz und
zur Erhaltung der gesammten Volkswirthschaft und zur Herstellung von Verhältnissen
bestimmt sind, welche eine gesunde Entwickelung des ganzen Volkslebens gewährleisten.
Somit erscheint es als ein anomales, auf die Dauer unhaltbares Verhältniß,
wenn zur Deckung eines Defizits in den gewöhnlich wiederkehrenden Ausgaben
(dem Ordinarium des Budgets) Anleihen aufgenommen werden müssen.
Der volkswirthschaftlichen Natur der S. entspricht es hiernach namentlich, von
denselben zu produktiven Zwecken Gebrauch zu machen. Sie sind also in erster
Reihe geeignet zu Einrichtungen, welche unmittelbar zur Erzeugung von Gütern
dienen (Bergwerke, Fabriken) oder theils als Gewerbebetrieb theils als Mittel zur
Hebung des Volkswohlstandes erscheinen wie die Verkehrsanstalten (Eisenbahn, Post,
Telegraphie). Im Uebrigen ist es in abstracto schwer zu bestimmen, ob eine staat-
liche Aktion einen produktiven Charakter hat oder nicht. Auch der Kriegsaufwand
und die Kosten von Schul= und Gefängnißbauten können produktiver Natur sein.
Der oft gehörte Satz, daß durch die Aufnahme von S. die Lasten auf die
nachfolgenden Generationen abgewälzt werden, ist nur in beschränktem Sinne richtig.
An den Lasten der Verzinsung und Amortisation nehmen die nachfolgenden Genera-
tionen unter allen Umständen Theil. Aber im Uebrigen ist es unleugbar, daß
gegenwärtige Bedürfnisse nur mit gegenwärtigen Mitteln bestritten werden können,
„der Krieg verschießt nicht aus zukünftigen Kanonen zukünftiges Pulver“ (Michaelis).
Werden jene Mittel der übrigen Volkswirthschaft entzogen, so trägt die Gegenwart
indirekt die ganzen Lasten der Anleihe. Nur wenn die Anleihe aus entbehrlichem
Kapital oder aus ausländischen Mitteln bestritten wird, hat jener Satz eine relative
Wahrheit.
Ueber den Vorzug inländischer Anleihen vor ausländischen divergiren die An-
sichten. Unzweifelhaft verdienen in Ländern mit kapitalreichen Einzelwirthschaften
die inländischen Anleihen den Vorzug. In solchen Ländern, wie namentlich in
Frankreich und England, auch in Deutschland, wendet sich der anleihende Staat in
erster Reihe an das inländische Kapital. Andererseits werden kapitalarme Länder
des auswärtigen Kredits nicht entbehren können. Die Nachtheile ausländischer An-
leihen liegen vorzugsweise darin, daß die Schuldverschreibungen derselben bei irgend
welchen nicht vorherzusehenden Veranlassungen zurückströmen und dadurch den in-
ländischen Geldmarkt unsicher machen. Man hat dieses „das Heimweh der inter-
nationalen Papiere“ genannt. Politisch kann durch ausländische Anleihen ein Ab-
hängigkeitsverhältniß entstehen. Allein die Gefahr von Verlusten für die Angehörigen
des auswärtigen Staats bildet wieder eine Sicherung für den schuldenden Staat. —
Bei ausländischen Anleihen werden die Schuldverschreibungen oft in fremder Währung
oder in heimischer und fremder Währung ausgestellt. In letzterem Fall ist ein
bestimmtes Werthverhältniß zu fixiren. Auch empfiehlt sich bei ausländischen An-
leihen die Errichtung von Zahlstellen im Auslande. Ein Beispiel bietet für Deutsch-
land die Bundeskriegsanleihe auf Grund des Gesetzes vom 29. November 1870,