Steuerverweigerung. 793
Aemter zu „permanenten“ Obrigkeiten geworden sind, so erscheint es als ein natür-
licher Rechtsanspruch, daß zu den neuen außerordentlichen Subsidien die „Unter-
thanen beitragen sollen.
3) Obgleich die alte Weise der Stellung des Heeres, der Verwaltung des Ge-
richtes und der Friedensbewahrung immer unzureichender und unpraktischer wird, die
neuere Weise der Aufbringung der bewaffneten Macht, der Gerichts= und Polizei-
verwaltung immer erhöhte, bald vervielfältigte Geldleistungen bedingt, bleiben die
ständischen Vorstellungen dabei stehen, daß die regierenden Klassen ihre normalen
Staatslasten bereits tragen, die neuen außerordentlichen Beihülfen also von den
Unterthanen aufszubringen seien.
Die Steuerbewilligungen des Adels, der Prälaten und der Stadtobrigkeit führen
daher in Deutschland zu einer Häufung der Staatslasten auf die nichtvertretenen
Stände, in erster Linie auf das Bauernthum, in zweiter auf die schwach vertretenen
Städte. Die landesherrlichen Regierungen werden dadurch zu einem System indi-
rekter Steuern gedrängt, für welche schon das 18. Jahrhundert eine zusammenhän-
gende Steuergesetzgebung entwickelt. Für die direkten Steuern gelangte erst das 19.
Jahrhundert zu einer ausgleichenden Regelung, welche das Bewußtsein gleicher
Pflichten, gleicher Rechte und Interessen zurückführt, und damit ein Repräsentativ-
system in verjüngter Gestalt auf dem Boden der Rechtsgleichheit erzeugt (val.
d. Art. Steuerpflicht). Gleichzeitig kehrt der Anspruch der Gesellschaft auf die
Mitbeschließung der Gesetze und die „unverjährbaren“ Freiheitsrechte für Person und
Vermögen zurück.
Diese Neubildung konnte ihr Vorbild nicht in der altständischen Gesellschaft
und ihren Sonderrechten finden. Sie fand in Europa nur ein entwickeltes Vorbild
in England, wo die Normannische Eroberung zu einer gleichmäßigen Vertheilung der
Staatslasten geführt und aus der gleichen Steuerlast das gleiche Steuerinteresse, aus
dem Steuerinteresse die Parlamentsverfassung des 14. Jahrhunderts gebildet hatte.
In der Sturm= und Drangperiode der Französischen Revolution ergriff die
Gesellschaft aus diesem Staatswesen den ihr leicht verständlichen Gedanken,
daß alle Einnahmen und alle Ausgaben des Staates von Jahr
zu Jahr von einer gewählten Volksvertretung frei zu bewil-
ligen oder zu versagen seien.
Es ist einleuchtend, daß durch dies Recht die Volksvertretung in ihrer augenblick-
lichen Gestalt unmittelbar Herrin der Staatsgewalt wird, welche heute in jedem
Organ und jeder Bewegung auf Geldmittel angewiesen ist. Es ist dies in dem
Maße einleuchtend, daß eine der eigenen Staatsthätigkeit entfremdete Gesellschaft
naturgemäß diesen Gedanken zuerst in sich aufnimmt. Der theoretisirende Politiker
sah alle übrigen Elemente der Parlamentsverfassung daneben als sekundär an. Auch
in Deutschland galt länger als ein Menschenalter jener Satz als das Grund-
prinzip der konstitutionellen Verfassung, als die notorische Essenz der „konstitutio-
nellen“ Regierung. Das Unrichtige in jenem angeblichen Prinzip ist seine behauptete
Allgemeinheit. Ein Bewilligungsrecht für alle Einnahmen und Ausgaben des
Staats hat in jener Parlamentsverfassung (ebenso wie in der Deutschen Reichs= und
Landesverfassung) niemals bestanden, sondern nur ein Recht der Bewilligung neuer
Einnahmen und der Zustimmung zu neuen Ausgaben, welches auch noch heute
nur den beweglichen Theil des Staatshaushaltes umfaßt.
Die im 14. Jahrhundert entwickelte Steuerbewilligung der Parlamente bezog
sich nur auf die „#extraordinary revenue“. Die laufenden Ausgaben der Staats-
regierung waren noch gedeckt durch eine erbliche Revenue der Krone, ergänzt durch
gewisse, dem König auf Lebenszeit bewilligte Zölle. Die „Subsidien“ des Parla-
ments dienten nur zur Deckung von Kriegskosten und außerordentlichen Bedürfnissen,
welche nur selten von Jahr zu Jahr, in ruhiger Zeit erst nach langen Zwischen-
räumen, auftraten. Es gab noch keine Parlamentskontrole der Ausgaben, noch kein