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Kirche in das Auge gefaßt wurden, hat sich auch jener Zusammenhang der sog.
frommen S. mit der Kirche gelöst, und seitdem hat der Rechtssatz Anerkennung
gefunden, daß es Jedem freisteht, S. zu religiösen und Wohlthätigkeitszwecken zu
errichten, auch ohne daß irgend welche Betheiligung der Kirche bei der Verwaltung
oder sonst nöthig wäre. Die moderne Stiftung bedarf also keiner von der Kirche
abgeleiteten Persönlichkeit mehr, um rechtlich zu existiren. Da aber ganz dasselbe
für andere S., welche nicht zu den corpora pia im Römischen und Kanonischen
Sinne gerechnet werden können, z. B. Kunstinstitute, nach modernem Recht gilt,
so liegt heutzutage kein Bedürfniß vor, die sog. milden S. als eine eigene, besonderen
rechtlichen Normen unterworfene Klasse zu behandeln. Die allgemeine Rechtstheorie
der S. überhaupt ist ebenfalls auf sie anwendbar. Für sie besteht also auch die
heute noch nicht zum Austrag gebrachte Streitfrage, ob die S., sofern nicht ihre
Zwecke durch Eigenthumsübertragung mit einem Modus an andere Personen erfüllt
werden sollen, als juristische Personen oder die für Stiftungszwecke ausgesetzten
Vermögensmassen als sog. Zweckvermögen aufzufassen sind. Ueber die Entstehung
der sog. milden S., die Verwaltung und den Untergang derselben müssen ebenfalls
die allgemeinen Regeln zur Anwendung kommen. Dagegen kann der Grundsatz,
daß ihr Vermögen die Privilegien des Kirchengutes genießt, nicht mehr als gemein-
rechtlich geltend angesehen werden, weil die bezüglichen Vorschriften sich nicht auf
die modernen, von der Kirche unabhängigen S. beziehen. Diesen Standpunkt nimmt
in allen Beziehungen das Sächs. BGB. ein (s. §§ 52, 150 ff., 260 ff.), während
das Preuß. Allg. LR., welches überhaupt die juristischen Personen nirgends im
Zusammenhang behandelt, wenigstens den „vom Staate ausdrücklich oder still-
schweigend genehmigten Armen= und Versorgungsanstalten“ hinsichtlich ihres Ver-
mögens die Rechte der Kirchengüter beilegt (Th. II. Tit. 19 9§ 41, 43), und auch
nach dem Oesterr. BGB., das die Regeln über die S. in „die politischen Ver-
ordnungen“ verwiesen hat (§ 646), wohl dem Stiftungsvermögen die Privilegien der
§§ 1472, 1485 (betreffend die Verjährung) beizulegen sind.
Quellen: I.I. 35, 42, 46 C. de episc. et cleric. 1, 3; Nov. CXXXI. c. 10, 11;
c. X. de relig. dom. III. 36; Clem. 2 h. t. III. 11; conc. Trid. Sess. XXII. c. 8 ss. de
reform.
Lit.: Brendel, Das Recht u. die Verwaltung der milden Stiftungen, Leipz. 1814. —
Pfeifer, Die Lehre von den juristischen Personen nach Gemeinem und Württemb. Recht,
Tüb. 1847. — Roth, Ueber Stiftungen, in v. Gerber's u. Ihering's Jahrb. “ Togmatik
des heutigen Privatrechts, I. 189 ff. — Brinz, Lehrb. der Mandekten 2. Abth. S. 979 ff. —
H. Böhlau, Rechtssubjekt und Personenroll Weimar 1871. — E. Fiielden Begrif
2 Wesen der sog. jurist. Tersonen, Leipz. 1873. — Bolze, Der riff der juristischen
Person, Stuttg. 1879, S. 185 a- Hinschius.
Stöckhardt, Heinrich Robert, Ö 11. VIII. 1802 zu Glauchau, lehrte als
Dozent 1824—1828 in Leipzig, wo er neben der jur. auch die philos. Doktorwürde
erwarb, dann Sachwalter in Bautzen, 1831 als ord. Prof. d. Röm. Recht und
K. Russ. Hofrath an das K. Pädag. Hauptinstitut in St. Petersburg berufen,
1835 auch an der K. Rechtsschule angestellt, f 10. X. 1848.
Schriften: Die Wissenschaft des Rechtes oder das Naturrecht, Leipz. 1825. — Tafeln
der Geschichte des Römischen Rechts, Leipz. 1828. — Tab. ilhstr. doctr. de cognat. et
adfinit, inserviens, Leipz. 1830. — De juris Justinianei in generis humani cultum insigni
merito oratio, St. Petersb. 1834. — Allgem. juristische Fundamentallehre, 1838. — Jurist.
Propädeutik 1838. 2. Aufl. 1843.- De recta jurisc. eruditione prax. justit. fonte oratio,
1840. — De fructibus üis quos, qui jeti. non sunt, e jprud. percipere possunt, 1845. —
Hauboldi memoria, 1847. — Themis von Elvers, I. (1830) 265—292. — Krit. Jahrb. von
Sichter und Schneider, 1840 S. 75 ff., 659 ff., 951 ff.; 1841 S. 328 ff., 412 ff.; 1842
91 ff.; 1843 S. 574 ff. 673 ff.; 1845 S. 572 ff., 859 ff.; 1846 S. 1115 ff.; 1847
. 762 ff.; 1848 S 372 ff.
Lit.: Richter und Schneider's Krit. Jahrb. XXIV. 956—958.
Teichmann.