Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

924 Unsug. 
unter die Rubrik „Uebertretungen in Beziehung auf die Sicherheit des Staates und 
die öffentliche Ordnung“ darauf, daß nur solche Handlungen als grober U. zu 
bestrafen seien, welche eine wirkliche Störung der öffentlichen Ordnung enthalten. 
Obwol nun diese Argumentation für das RStraf# ausgeschlossen ist, wird man 
doch annehmen können, daß die vollkommen übereinstimmenden Worte in den beiden 
Strafgesetzbüchern nicht einen verschiedenen Thatbestand bezeichnen sollen. Ferner 
weist auch im RStraf GB. die Zusammenstellung von grobem U. und Erregung von 
ruhestörendem Lärm darauf hin, daß den beiden Verboten die Rücksicht auf den 
Schutz des Publikums vor Belästigung als gemeinschaftliche ratio zu Grunde liegt. 
Eine so allgemein gehaltene Strafandrohung gegen störende Eingriffe in die rechtlich 
geschützte Interessensphäre des Einzelnen wäre auch überflüssig, da die betreffen- 
den Handlungen, soweit das nothwendig erschien, schon als besondere Verbrechen 
oder Vergehen bestraft werden, während sie durchaus geeignet ist das Publikum, d. h. 
eine nicht individuell begrenzte Personenmehrheit, gegen Handlungen zu schützen, 
welche, ohne den Einzelnen direkt zu verletzen, eine unbestimmte Menge gefährden 
oder belästigen. Ueber diese Auffassung des § 360 Nr. 11 besteht kaum noch ein 
Zweifel. Während die niederen Gerichte mitunter dazu neigen, denselben als eine 
Art Reserve für Fälle, deren Strafbarkeit sonst bedenklich erscheint, zu benutzen, haben 
sich die höchsten Gerichtshöfse der einzelnen Bundesstaaten und auch das Reichsgericht 
(Erk. vom 27. April 1880 — Entsch. I. S. 400, Rechtsprechung I. S. 677) über- 
einstimmend dahin ausgesprochen, daß der Thatbestand des groben U. eine Gefährdung 
oder ungebührliche Belästigung des Publikums enthalten müsse. 
Vorgänge also, deren Wirkung sich auf eine bestimmte Person beschränkt, z. B. 
Aushängen der Fensterladen, Einschütten von Wasser in eine Stube, Pochen an der 
Thür eines Anderen gehören nicht hierhin. Doch braucht die Handlung nicht gerade 
an einem öffentlichen Orte vorgenommen zu sein, es genügt, wenn eine unbestimmte 
Anzahl von Personen, z. B. die Einwohner eines Miethhauses, die in einem Wirths- 
hause versammelten Personen, durch Lärmen und Toben belästigt worden sind. Es 
kommt dabei auf die faktische Belästigung an, so daß als grober U. z. B. nicht 
Klappen mit cri-eri auf einer menschenleeren Straße, wol aber Stören eines Redners 
in einer öffentlichen Versammlung durch Pfeifen erscheint. Auch Vorgänge, die ge- 
eignet sind ein öffentliches Aergerniß zu geben, können als grober U. selbst dann 
betrachtet werden, wenn die öffentliche Ruhe dadurch nicht gestört wird, z. B. An- 
kündigung als Wahrsagerin, durch welche dem Aberglauben Vorschub geleistet wird, 
Zeitungsäußerungen, welche das Vaterlandsgefühl, die allgemeine Sitte, den An- 
stand r2c. verletzen. Auch eine ungeeignete Rede an einem Grabe, Störung des 
Unterrichts durch lautes Räsonniren in einem Schulgebäude kann die Anwendung 
des § 360 Nr. 11 herbeiführen. Bloße Unterlassungen werden nur ausnahmsweise 
einen groben U. darstellen. 
Der beschimpfende U. ist verschieden zu behandeln je nach den Objekten, an 
welchen er verübt wird, gemeinschaftlich ist nur, daß die betreffende Handlung in 
erkennbarer Weise eine Herabwürdigung des Gegenstandes enthalten muß, gegen den 
sie sich richtet. Der U. kann durch Worte, Handlungen, wol auch Unterlassungen 
(z. B. Nichtabnehmen des Hutes in einer Kirche) verübt werden, welche geeignet 
sind ein Aergerniß zu geben. Daß ein solches eingetreten oder auch nur beabsichtigt 
sei, wird nicht erfordert, doch muß der Handelnde das Bewußtsein von dem be- 
schimpfenden Charakter seines Thuns haben. Am häufigsten kommt die Verübung 
von beschimpfendem U. in Kirchen und an Gräbern vor. Hier muß die Handlung 
die schuldige Ehrfurcht vor den religiösen Gefühlen Anderer bzw. die Pietät gegen 
die Todten verletzen. Es braucht daher z. B. die Handlung eines Geistlichen, 
welcher Kinder durch eine Ohrfeige dafür züchtigt, daß sie den freien Eingang be- 
hindern, nicht als beschimpfender U. aufgefaßt zu werden, während in dem Tabak- 
rauchen zur Zeit des Gottesdienstes ein solcher liegt. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.