Unterlassungsverbrechen. 933
Feuerbach bemerkte, es setze ein U. „immer einen besonderen Rechtsgrund (Gesetz
oder Vertrag) voraus, durch welchen die Verbindlichkeit zur Begehung begründet
wird; ohne diesen wixd man durch Unterlassung kein Verbrecher“. Daran schließt
sich aber, und zwar nicht als Ausnahme, der Satz, die Tödtung könne sowol durch
positive, als durch negative Handlungen begangen werden; das letztere aber setze die
Verbindlichkeit zu einer positiven Handlung voraus, deren Unterlassung Ursache des
Todes geworden ist (Lehrbuch §§ 24, 211. Letzteres übersieht Schwalbach in
der unten anzuführenden Arbeit, wenn er Morstadt's Versuch, schon bei Feuer-
bach die erst später erkannte Sonderung der U. von Kommissionsdelikten nachzuweisen,
gegen mich in Schutz nimmt).
Eine Klärung der Sache trat erst hauptsächlich durch Luden's Verdienst ein,
indem erkannt ward, daß während strafrechtlich die Handlung immer nur als
Uebertretung eines Verbotes erscheinen kann, die Unterlassung ebensowol als solche,
wie als Verletzung eines Gebotes in Betracht kommen kann. Die daran sich
knüpfende Eintheilung muß allerdings von der äußeren Form des Gesetzes, das manch-
mal zu verbieten scheint, wo es gebietet, absehen und an das Wesen der Sache sich
halten; dann aber erscheint das U. im eigentlichen Sinne als die schuldhafte Nicht-
herbeiführung eines Erfolges, einer Veränderung in der Außenwelt, welche dem Ge-
setze gemäß hätten herbeigeführt werden sollen (Unterlassung als Uebertretung eines
Gebotes, Omiss ivdelikt). Den Gegensatz hierzu bildet die Unterlassung, welche
zur Herbeiführung eines gewissen Erfolges, den das Strafgesetz herbeizuführen ver-
bietet, dient, die Uebertretung eines Verbotes, als eine der möglichen Arten der
Begehung eines Kommissivdeliktes.
Die erstere Form bietet der Theorie und Praxis wenig Schwierigkeiten. Die
U. im eigentlichen Sinne setzen voraus:
1) Ein Gesetz, welches eine Unterlassung mit Strafe bedroht, sei es nun ein
spezielles, einen bestimmten einzelnen Akt vorzeichnendes, sei es ein allgemeines in
dem Sinne, daß alle aus einem bestimmten Verhältniß entspringenden obligationes
ad faciendum ohne weitere Rücksicht auf das Resultat der Nichterfüllung unter den
Schutz einer Strafsanktion gestellt werden. 2) Das Bewußtsein davon, daß die Be-
dingungen gegeben seien, an deren Eintreten ein solches von einer Strassanktion
unterstütztes Gebot gebunden ist. 3) Den Entschluß, dem Gebot nicht nachzukommen,
und 4) die Möglichkeit des entgegengesetzten Verhaltens. Sowie diese Bedingungen
erfüllt sind, ist auch das Verbrechen nicht blos begonnen, sondern vollendet; denn
die Strafbarkeit wird hier durch die bloße Manifestirung des Ungehorsams begründet;
das Benehmen des Unterlassenden ist strafbar, weil er den Gehorsam versagt; das
Delikt umfaßt eben nur dies, und der äußere wie der innere Thatbestand des
Deliktes find eben deshalb ganz unabhängig von dem Wollen und Eintreten einer
bestimmten Wirkung, um derentwillen etwa das Gebot erlassen sein mag. Deshalb
lassen auch die Omissivdelikte keinen Versuch zu, denn sie sind immer entweder noch
gar nicht vorhanden oder schon vollendet.
Dies bewirkt aber nicht, daß die Verjährungsefrist bei diesen Verbrechen
schon mit dem Augenblick zu laufen beginnt, wo die Strabbarkeit eintritt, d. h. also hier,
wo das Verbrechen vollendet ist. Es kann nämlich vollendet sein, ohne beendigt zu
sein; so lange die Bedingungen gegeben sind, unter welchen eine bestimmte Handlung
bei Strafe geboten ist, so lange wird dieses Verbrechen jeden Augenblick erneuert, ge-
wissermaßen wieder von Neuem begangen und deshalb kann die Verjährungzsfrist
erst von dem Augenblick an laufen, wo es unmöglich wird, dem Gebot nach-
zukommen, sei es, weil dessen Bedingungen cessiren, sei es, weil es physisch unmöglich
geworden, ihnen zu entsprechen. — Eine andere Eigenthümlichkeit der Omissivdelikte
knüpft sich an die Frage nach dem Ort der begangenen That. Ein solcher ist hier
eigentlich gar nicht vorhanden, da eben nirgend gehandelt wurde. Man kann als
locus delicti commissi aber auch nicht jenen Ort gelten lassen, wo sich der Schuldige