Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Unterlassungsverbrechen. 933 
Feuerbach bemerkte, es setze ein U. „immer einen besonderen Rechtsgrund (Gesetz 
oder Vertrag) voraus, durch welchen die Verbindlichkeit zur Begehung begründet 
wird; ohne diesen wixd man durch Unterlassung kein Verbrecher“. Daran schließt 
sich aber, und zwar nicht als Ausnahme, der Satz, die Tödtung könne sowol durch 
positive, als durch negative Handlungen begangen werden; das letztere aber setze die 
Verbindlichkeit zu einer positiven Handlung voraus, deren Unterlassung Ursache des 
Todes geworden ist (Lehrbuch §§ 24, 211. Letzteres übersieht Schwalbach in 
der unten anzuführenden Arbeit, wenn er Morstadt's Versuch, schon bei Feuer- 
bach die erst später erkannte Sonderung der U. von Kommissionsdelikten nachzuweisen, 
gegen mich in Schutz nimmt). 
Eine Klärung der Sache trat erst hauptsächlich durch Luden's Verdienst ein, 
indem erkannt ward, daß während strafrechtlich die Handlung immer nur als 
Uebertretung eines Verbotes erscheinen kann, die Unterlassung ebensowol als solche, 
wie als Verletzung eines Gebotes in Betracht kommen kann. Die daran sich 
knüpfende Eintheilung muß allerdings von der äußeren Form des Gesetzes, das manch- 
mal zu verbieten scheint, wo es gebietet, absehen und an das Wesen der Sache sich 
halten; dann aber erscheint das U. im eigentlichen Sinne als die schuldhafte Nicht- 
herbeiführung eines Erfolges, einer Veränderung in der Außenwelt, welche dem Ge- 
setze gemäß hätten herbeigeführt werden sollen (Unterlassung als Uebertretung eines 
Gebotes, Omiss ivdelikt). Den Gegensatz hierzu bildet die Unterlassung, welche 
zur Herbeiführung eines gewissen Erfolges, den das Strafgesetz herbeizuführen ver- 
bietet, dient, die Uebertretung eines Verbotes, als eine der möglichen Arten der 
Begehung eines Kommissivdeliktes. 
Die erstere Form bietet der Theorie und Praxis wenig Schwierigkeiten. Die 
U. im eigentlichen Sinne setzen voraus: 
1) Ein Gesetz, welches eine Unterlassung mit Strafe bedroht, sei es nun ein 
spezielles, einen bestimmten einzelnen Akt vorzeichnendes, sei es ein allgemeines in 
dem Sinne, daß alle aus einem bestimmten Verhältniß entspringenden obligationes 
ad faciendum ohne weitere Rücksicht auf das Resultat der Nichterfüllung unter den 
Schutz einer Strafsanktion gestellt werden. 2) Das Bewußtsein davon, daß die Be- 
dingungen gegeben seien, an deren Eintreten ein solches von einer Strassanktion 
unterstütztes Gebot gebunden ist. 3) Den Entschluß, dem Gebot nicht nachzukommen, 
und 4) die Möglichkeit des entgegengesetzten Verhaltens. Sowie diese Bedingungen 
erfüllt sind, ist auch das Verbrechen nicht blos begonnen, sondern vollendet; denn 
die Strafbarkeit wird hier durch die bloße Manifestirung des Ungehorsams begründet; 
das Benehmen des Unterlassenden ist strafbar, weil er den Gehorsam versagt; das 
Delikt umfaßt eben nur dies, und der äußere wie der innere Thatbestand des 
Deliktes find eben deshalb ganz unabhängig von dem Wollen und Eintreten einer 
bestimmten Wirkung, um derentwillen etwa das Gebot erlassen sein mag. Deshalb 
lassen auch die Omissivdelikte keinen Versuch zu, denn sie sind immer entweder noch 
gar nicht vorhanden oder schon vollendet. 
Dies bewirkt aber nicht, daß die Verjährungsefrist bei diesen Verbrechen 
schon mit dem Augenblick zu laufen beginnt, wo die Strabbarkeit eintritt, d. h. also hier, 
wo das Verbrechen vollendet ist. Es kann nämlich vollendet sein, ohne beendigt zu 
sein; so lange die Bedingungen gegeben sind, unter welchen eine bestimmte Handlung 
bei Strafe geboten ist, so lange wird dieses Verbrechen jeden Augenblick erneuert, ge- 
wissermaßen wieder von Neuem begangen und deshalb kann die Verjährungzsfrist 
erst von dem Augenblick an laufen, wo es unmöglich wird, dem Gebot nach- 
zukommen, sei es, weil dessen Bedingungen cessiren, sei es, weil es physisch unmöglich 
geworden, ihnen zu entsprechen. — Eine andere Eigenthümlichkeit der Omissivdelikte 
knüpft sich an die Frage nach dem Ort der begangenen That. Ein solcher ist hier 
eigentlich gar nicht vorhanden, da eben nirgend gehandelt wurde. Man kann als 
locus delicti commissi aber auch nicht jenen Ort gelten lassen, wo sich der Schuldige 
 
	        
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