Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Unterrichtsgesetzgebung. 941 
II. Decentralisation der Verwaltung. Daß das geistige Leben die 
uniforme Reglementirung aller Studienpläne von der Universität bis zur Dorfschule 
herab nicht zu ertragen vermag, ist selbst das heutige Frankreich anzuerkennen bereit. 
Der Selbständigkeitstrieb im Deutschen Familien- und Gemeindeleben, sowie das 
eifersüchtige Ankämpfen der organisirten Kirchengewalten gegen staatliche „Centralifa— 
tion“ geben dagegen das nothwendige Gegengewicht und die ausreichende Gewähr. 
Die Shhwierigkett liegt in Deutschland vielmehr umgekehrt in der Neigung zu Son- 
derbildungen, welche sich gegen jede gesetzliche Regel sträuben, während eine solche 
doch im heutigen Staatswesen die Vorbedingung aller Selbstverwaltung bleibt. 
Diese Decentralisation ergiebt sich 1) für die Universitäten durch Beibehaltung 
wesentlicher Elemente einer Korporationsverfassung; 2) für die gelehrten Schulen 
durch ihre Anlehnung an die ständigen Körperschaften der Stadtverwaltung und 
später wol auch an die Kreis= und Provinzialverwaltungen; 3) für die Fach- 
und Spezialschulen durch Verwaltungsräthe unter wesentlicher Betheiligung 
der nächsten Interessenten; 4) für die Volksschule durch ein zusammengesetztes 
Kuratorium, in welchem die Familienväter durch gewählte Vertrauensmänner, die 
Gemeinden durch kommunale Organe, die Kirchen durch kirchliche Organe zu ver- 
treten sind, zur Wahrung der hier im kleinsten Raum kollidirenden Ansprüche, die 
nur in gewohnheitsmäßigem kollegialischen Zusammenwirken ihre Ausgleichung finden. 
Der Hauptmangel der bisherigen Einrichtungen lag in der Zersplitterung dieser For- 
mation, für die es in der kleinen Landgemeinde an einem Personal von gehörigem 
Ansehen und genügender Bildung fehlt. Diese Mängel heben sich durch For- 
mationen aus einem größeren „Amtsbezirk“ und durch Anlehnung an eine kommunale 
Kreisverwaltung. 
III. Herstellung der Einheit in dem Geist der Verwaltung durch das 
ergänzende Regulativrecht der Staatsbehörden und durch eine organisirte 
Staatsaufsicht. Den Regulativen der Centralverwaltung muß ein erheblicher 
Spielraum bleiben, da der stetige Fortschritt des geistigen Lebens und der gesell- 
schaftlichen Interessen eine schematische Gesetzgebung über den Schulplan in seinen 
technischen Einzelheiten unmöglich macht. Nur die beweglichere Gestalt der Regu- 
lative vermag auch die immer wiederkehrenden konfessionellen Reibungen und die Eng- 
herzigkeit der Lokalinteressen zu überwinden, die kein gesetzliches Normativrecht völlig 
fernhalten kann. Unter ministerieller Leitung bedarf es dazu nicht sowol schwerfäl- 
liger „Schulkollegien“, als höhergestellter Einzelbeamten zu einer Oberinspektion, 
während die untere Spezialinspektion durch die Stadtverwaltungen, später auch wol 
der Kreisverwaltungen, nach lokalem Bedürfniß verschieden zu gestalten ist. 
Die zur Zeit noch vielfach schwankenden Vorstellungen werden sich klären, wenn 
durch das gewohnheitsmäßige Zusammenarbeiten des schulgelehrten und des Laien- 
elements in den Kuratorien die praktische Aufgabe der Schulinfpektion bestimmter 
hervortreten wird. 
Zur Ergänzung dieses administrativen Organismus wird es endlich noch eines 
Elements der Verwaltungsjurisdiktion bedürfen, da die streitige Aus- 
legung der Schulgesetze gegenüber den Ansprüchen der Kirchengewalt, und unter kol- 
lidirenden Rechtsansprüchen der Kommunen und der Einzelnen, nicht der endgültigen 
Auslegung eines einzelnen Ministers überlassen werden kann. Aller Streit über die 
„konfessionellen Schulen“ ist in Preußen nur aus einer parteimäßigen Interpretation 
der bestehenden Gesetze entstanden, die wiederum ein Hinderniß jeder neuen Gesetz- 
gebung wird, so lange jedes Partelinteresse glaubt, mit seiner eigenen Auslegung 
weiter zu kommen, als mit einer neuen Gesetzgebung. Die Schulgesetzgebung, wie 
alle Verwaltungsgesetzgebung, vermag im konstitutionellen Staate nicht zu bestehen, 
ohne jurisdiktionelle Organe zur gleichmäßigen und sicheren Feststellung der streitigen 
Gesetzes fragen.
	        
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