970 Urkundenbeweis.
kunden, welche nicht auf eigener Wahrnehmung beruhende Zeugnisse von öffentlichen
Behörden oder Urkundspersonen enthalten, beweisen die bekundeten Thatsachen allein
dann, wenn sich aus den Reichs= oder Landesgesetzen ergiebt, daß (wie z. B. bei
den Civilstanderegistern, den früheren Kirchenbüchern) die Beweiskraft des Zeugnisses
von der eigenen Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson unabhängig ist.
Privaturkunden, welche andere Wahrnehmungen und Vorgänge als Erklärungen be-
kunden, beweisen die darin bezeugten Thatsachen nicht, haben vielmehr nur den
Charakter unbeeideter schriftlicher Zeugnisse. 3) Die von einer Behörde ausgestellten,
eine amtliche Anordnung, Verfügung oder Entscheidung enthaltenden öffentlichen Ur-
kunden begründen den vollen Beweis ihres Inhaltes.
Die Beweiskraft einer Urkunde kann durch äußere Mängel, z. B. Durch-
streichungen, Radirungen, Einschaltungen 2c. gemindert oder aufgehoben werden
(sog. scripturae calumniosae). Inwieweit dies der Fall ist, darüber entscheidet das
Gericht nach freiem Ermessen.
Alles Vorstehende bezieht sich nur auf die Originalurkunden. Die bloße Ab-
schrift einer Urkunde hat an und für sich keine Beweiskraft. Dagegen steht eine be-
glaubigte Abschrift (sog. copia vidimata, fidemata), d. h. eine solche, welche von einer
mit öffentlichem Glauben versehenen, dazu befugten Person als gleichlautend mit dem
Original attestirt ist, wenn sie von einer öffentlichen Urkunde genommen worden,
dem Original gleich. Indessen kann das Gericht vom Beweisführer verlangen, daß
er die Abschrift vorlegt oder die Thatsachen angiebt und glaubhaft macht, die ihn
an der Vorlegung derselben hindern. Bleibt diese Anordnung erfolglos, so hat das
Gericht nach seiner Ueberzeugung zu entscheiden, welche Beweiskraft der beglaubigten
Abschrift beizulegen sei.
OQuellen: Deutsche CPO. §§ 380—384, 400, 402 ff.; Deutsches EG. dazu § 13
Nr. 2, § 16 Nr. 2.
Lit.: Spangenberg, Die Lehre vom Urkundenbeweis, Heidelb. 1827. — Strippel-
mann, Der Beweis durch Schrifturkunden, Abth. I. II., Kassel 1860, 1861. — Langenbeck,
Die Beweisführung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, 3. Abth., Leipzig 1861, S. 613 ff. —
Bähr, Lehrb. für Dogmatik, XIV. 27. — Schultze, Krit. V.J.Schrift, XVIII. 229 ff. —
A. Heusler, Arch. für civ. Praxis, LXI1. 280 ff. — Wendt, a. a. O., LXiIII. 307.
P. Hinschius.
Urkundenbeweis im Strafverfahren. Wenn man im Strafprozeß von U.
spricht, versteht man unter Urkunden nicht solche im weiteren Sinne, wohin alle leblosen
Gegenstände gehören, welche dazu dienen können, die Ueberzeugung von dem Vor-
handensein einer Thatsache hervorzurufen, auch nicht alle von Menschenhand erzeugte
Gegenstände solcher Art (wie z. B. Denkmäler, Bauten aller Art u. f. f.), sondern
nur Schriftstücke, schriftliche Aufzeichnungen, welche über eine (für den betreffenden
Straffall erhebliche) Thatsache etwas bekunden. Was jene Urkunden im weiteren
Sinne betrifft (und unter sie würden auch die Gegenstände fallen, welche Spuren
der That an sich tragen, ferner die Werkzeuge des Verbrechens und die durch dasselbe her-
vorgebrachten Gegenstände — die producta sceleris), so wird der Richter von ihnen
Kenntniß erhalten entweder durch eigene Wahrnehmunng (Augenscheinseinnahme)
oder durch Mittheilung Anderer, also durch Geständniß oder Zeugniß. Es gelten
darum für ihre Behandlung im Strafprozeß die Regeln, welche für die Augenscheins-
einnahme, bzw. für Geständniß und Zeugniß aufzustellen sind. Dagegen gilt Be-
sonderes rücksichtlich der Urkunden im Sinn von Schriftstücken. Nämlich:
I. Es muß vor Allem feststehen oder festgestellt werden, daß die Urkunde echt
ist, d. h. von demjenigen herrührt, welcher als ihr Urheber (Aussteller) bezeichnet wird.
Der Beweis der Echtheit wird bei öffentlichen Urkunden durch den Augenschein her-
gestellt, welcher ergiebt, ob die Urkunde die formellen Erfordernisse an sich hat, die
hier die Vermuthung der Echtheit begründen. Die Echtheit von Privaturkunden
wird durch Augenschein, Geständniß, Zeugniß oder Schriftvergleichung erwiesen.
Schriftvergleichung (Strafp O. § 93) ist übrigens ein sehr trügliches Beweismittel,