Urtheil. 995
Hauptverhandlung an sich für ihn hervorgehende peinliche Lage, welche ihm mög-
licherweise durch Voruntersuchung und Prüfung der Versetzung in Anklagestand erspart
werden könnte, in solchem Fall schon gegeben ist — daß endlich auf die Vermeidung
unnöthigen Zeit= und Kostenaufwandes, sowie der Belästigung der Zeugen Rücksicht
zu nehmen ist. Sowol die Deutsche (§ 265), als die Oesterr. StrafP# O. (6 263)
gestatten die sofortige Aburtheilung; doch gehen sie dabei von ganz verschiedenen
Gesichtspunkten aus. In die Deutsche StrasP O. fand die Bestimmung, gegen den
Widerspruch der Regierungen und erst bei wiederholter Abstimmung in der Kommission,
auf Vorschlag v. Schwarze's Eingang, als ein Mittel zur Milderung der Folgen
des so schroff hingestellten Legalitätsprinzips. Abgesehen von der selbstverständlichen
Bedingung, daß die neue That nicht die (sachliche) Zuständigkeit des Gerichtes über-
schreiten darf, fordert das Deutsche Gesetz einen förmlichen Antrag der Staatsan-
waltschaft und die Zustimmung des Angeklagten zur sofortigen Aburtheilung. Außer-
dem soll der Vorgang nicht gestattet sein, wenn die neue That als ein Verbrechen
sich darstellt (bezüglich der Schwurgerichtssachen s. d. Art. Fragestellung). Die
Entscheidung über die Einbeziehung der neuen That in die Hauptverhandlung ist
lediglich ins Ermessen des Gerichtes gestellt; wie im Falle der Ablehnung vorzu-
gehen sei, ist nicht näher besprochen. — Das Oesterr. Strafgesetz v. 1852 hat die
Bestimmungen über die Behandlung konkurrirender Delikte so eingerichtet, daß
eine neu hinzukommende That, wenn sie nicht mit schwererer Strafe bedroht ist, als
der ursprüngliche Gegenstand der Anklage, lediglich eine strenge Bemessung der
Strafe innerhalb des für letztere geltenden Strafsatzes begründet; ihr Hervortreten
steht also p#zessualisch dem eines Strafschärfungsgrundes gleich. Außerdem macht
das System der Zusammenrechnung der durch mehrere Diebstahls-, Veruntreuungs-
fakta u. s. w. angerichteten Schäden eine einheitliche Aburtheilung unter Umständen
nothwendig (in welchem Falle die neu hervortretende That geradezu als ein die
Beurtheilung des ursprünglichen Anklagegegenstandes ändernder Umstand nach §§ 261
und 262 — f. oben unter III. — behandelt werden muß), immer aber wünschens-
werth. Auf der anderen Seite soll aber auch der Angeklagte gegen willkürliches,
späteres Hervorziehen der That geschützt werden. Die Voraussetzung der hier an-
zuwendenden Bestimmungen ist mit denselben Worten formulirt, wie in der Deutschen
StrafP O.: „Wird der Angeklagte bei der Hauptverhandlung noch einer anderen
That beschuldigt, als wegen welcher er angeklagt war“. Wegen der in der Oesterr.
StrafP O. aus der stillschweigenden Uebergehung der Sache gezogenen Folgerungen
muß hier auf das Wort Beschuldigung, im Gegensatze zu einer bloßen ver-
dächtigenden Aeußerung u. dgl., Gewicht gelegt werden; andererseits ist die Selbst-
beschuldigung hier nicht ausgeschlossen. Gefordert wird ferner, daß ein berechtigter
Ankläger die Verfolgung einleitet. Die in diesem Falle eintretenden Eventualitäten.
können folgende sein:
A. 1) Der Ankläger begehrt sofortige Aburtheilung, der Angeklagte stimmt zu
und auch das Gericht findet kein Bedenken. 2) Der Angeklagte verweigert die
Zustimmung; dies ist entscheidend, wenn die neue That unter ein strengeres Straf-
gesetz fällt, als die den ursprünglichen Gegenstand der Hauptverhandlung bildende.
3) Der Angeklagte macht andere Gründe geltend, welche die sofortige Aburtheilung
zu hindern geeignet sind, oder das Gericht selbst nimmt solche Gründe als vorhanden
an und lehnt die sofortige Aburtheilung ab. (Die Ablehnung des Vertagungs-
antrages ist nach Oesterr. Recht nicht einfach in das Ermessen gestellt, sondern kann
durch Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Endurtheil angefochten werden.) B. Ist
aus einem der vorstehend angegebenen Gründe die sofortige Aburtheilung nicht mög-
lich oder beantragt sie der Ankläger gar nicht, obgleich er die Verfolgung sich vor-
behält: so kann der Gerichtshof, wenn er dies zweckmäßiger findet, die Hauptver-
handlung abbrechen und die Entscheidung über alle dem Angeklagten zur Last
fallenden Handlungen einer neuen Hauptverhandlung vorbehalten; außerdem urtheilt
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