Strandrecht und Strandungsordnung. 815
daß dieser ein für allemal auf sein Recht zum Besten der Schiffbrüchigen verzichte.
Privatpersonen, welche Strandgut geborgen, müssen die Vorschriften über das Finden
(I. 9 §8§ 19 ff.) beachten. Gestrandete Sachen, zu welchen kein Eigenthümer sich
meldet, gehören dem Staate. Eine nähere Regulirung des Verfahrens enthielten
die Strandungsordnungen, welche für die Preußischen Küstenprovinzen bestanden.
Das S. im alten Sinne konnte sonach nur noch in Retorsionsfällen gegen fremde
Nationen geübt werden. Die nichtpreußischen Küstenländer Deutschlands besaßen
ihre besonderen Strandungsordnungen.
Im HG#. fand zwar das S. an sich keine Berücksichtigung, doch regelt
Buch V. Tit. 9 8§ 742 ff. die Bergung und Hülfsleistung in Seenoth. Dem
Berger von Schiff, Schiffstheilen oder Ladung wird ein Anspruch auf Bergelohn
zuerkannt, welcher ein Drittel des Werthes der geborgenen Gegenstände in der Regel
nicht übersteigen soll.
Reichsgesetzliche Normirung hat u. a. auch diese Materie durch die Strandungs-
ordnung vom 17. Mai 1874 erfahren. Sie handelt in 5 Abschnitten von den
Strandbehörden, von dem Verfahren bei Bergung und Hülfsleistung in Seenoth,
von Seeauswurf und strandtriftigen Gegenständen, sowie von versunkenen und fee-
triftigen Gegenständen, von dem Aufgebotsverfahren in Bergungssachen und dem
Rechte auf herrenlose geborgene Gegenstände, und von der Festsetzung der Bergungs-
und Hülfskosten, während der Schlußabschnitt allgemeine Bestimmungen enthält.
Die Bestimmungen des Reichsgesetzes sind theils administrativer, theils privatrecht-
licher Natur. Nur letztere kommen hier in Betracht.
Das Reichsgesetz unterscheidet 1) Gegenstände, die im Falle der Seenoth eines
Schiffes geborgen werden, 2) den Seeauswurf, 3) strandtriftige, 4) versunkene,
5) seetriftige Gegenstände. In allen diesen Fällen hat die Thatsache der Strandung
und der Bergung keine Veränderung der an diesen Gegenständen bestehenden Privat-
rechtsverhältnisse zur Folge. Sind die Gegenstände herrenlos im juristischen Sinne,
d. h. ohne Eigenthümer, so wird in den Fällen 1) 2) 3) der Landesfiskus, in den
Fällen 4) 5) der Berger Eigenthümer. In den Fällen 4) 5) greifen sonach die
Grundsätze von der freien Okkupation ein; in den Fällen 1) 2) 3) kommt jedoch
ein besonderes Aneignungsrecht des Staates zum Ausdruck, welches die gemeinrecht-
lichen Grundsätze der Okkupation modifizirt. Es dürfte sich empfehlen, für dieses
Aneignungsrecht des Staates zum Zuweck seiner juristischen Individualisirung den
Ausdruck Strandrecht beizubehalten. Nicht herrenlose Gegenstände werden dem
Eigenthümer bzw. dem Empfangsberechtigten ausgeliefert, wenn dieser bekannt ist
oder durch ein bestimmt geregeltes Aufgebotsverfahren ermittelt wird (§8 26 ff.).
Gegenstände, deren Eigenthümer sich im Aufgebotsverfahren nicht meldet, werden in
den Fällen 1) 2) 3) dem Landesfiskus, in den Fällen 4) 5) dem Berger als Eigen-
thum überwiesen (Strandungsordn. § 35). Der frühere Eigenthümer hat sich an seinem
Rechte verschwiegen. Jedoch bleibt ihm unbenommen, noch nach beendigtem
Aufgebotsverfahren gegen den nunmehrigen Eigenthümer mit einer Klage auf Ent-
schädigung vorzugehen, welche juristisch nach Art der Bereicherungsklagen (condic-
tiones) aufzufassen ist. Dieser Entschädigungsanspruch ist selbstverständlich nur ein
obligatorischer gegen Fiskus, resp. Berger; er geht nur soweit, als diese die Sache
noch besitzen, resp. durch den daraus gelösten Werth noch bereichert sind (Strand.-Ordn.
§ 28)0). Es kann ferner zwischen dem Anspruch auf Bergelohn und der Entschädi-
gungsforderung bis zur Höhe des ersteren kompensirt werden.
Die gegebene Deduktion weicht so wesentlich ab von der dem Reichstage vor-
gelegten Motivirung des Gesetzes, daß auf den Widerspruch zwischen der letzteren
und dem Wortlaut des Gesetzes (welches gerade in diesen Paragraphen dem Re-
gierungsentwurf dem Inhalte nach ganz genau entspricht) näher eingegangen werden
muß. Die Regierungsmotive wollen auch nach beendigtem Aufgebotsverfahren eine
Veränderung der bestehenden Rechtsverhältnisse nicht eintreten lassen. Der frühere