Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

1030 Vergistung. 
Anhaltspunkte für die chemische Aufsuchung des Giftes zu liefern. Der Zeitpunkt 
des Auftretens der Krankheitserscheinungen kann von Nutzen sein zur Bestimmung 
der Zeit, zu welcher die Beibringung des Giftes stattfand. Bei Berücksichtigung der 
Krankheitserscheinungen darf nicht außer Acht bleiben, daß gleiche oder ganz ähnliche 
Erscheinungen auch bei verschiedenen anderen Krankheiten, resp. Todesarten vor- 
kommen können, welche nicht Folge einer V. sind. Es ist deshalb nicht statthaft, 
aus den Krankheitserscheinungen allein den Thatbestand einer V. ableiten zu 
wollen; sie bei der Beweisaufnahme ganz zu vernachlässigen wäre nicht minder 
fehlerhaft. 
Was das zweite Kriterium, den Leichenbefund anbelangt, so ist zunächst zu er- 
wähnen, daß schon die äußere Besichtigung der Leiche gewisse auffallende Befunde 
ergeben kann, die den Verdacht einer bestimmten V. erwecken; so z. B. die auf- 
fallend hellrothe Farbe der Todtenflecken bei durch Kohlenoxyd um's Leben Ge- 
kommenen. Der Leichenbefund ist in manchen Fällen schon für sich allein, (nament- 
lich aber in Verbindung mit den Krankheitserscheinungen) geeignet, eine Vergiftung 
erkennen zu lassen; so durch den Nachweis der charakteristischen Gewebszerstörungen 
im Verlaufe des Verdauungstraktus bei den rasch tödtlich verlaufenden V. durch 
Mineralsäuren; so durch das Auffinden leicht erkenntlicher Gifte in Substanz, z. B. 
des Phosphors, des Arseniks, im Mageninhalt; so durch den mikroskopischen Nach- 
weis einer Trichinen-V. — Ein bei der Leichenöffnung wahrnehmbar eigenthüm- 
licher Geruch ist geeignet, den Verdacht auf eine bestimmte V. zu lenken, wie z. B. 
der Geruch nach Bittermandeln auf V. mit blausäurehaltiger Substanz. — Nach 
vielen V., namentlich nach solchen mit organischen Giften, ergiebt freilich die Ob- 
duktion nichts Auffallendes, viel weniger noch etwas Charakkteristisches. Nicht selten 
wiederum wird der Sektionsbefund gerade dadurch werthvoll, daß durch ihn der 
Verdacht einer V. hinweggeräumt, und als Todesursache eine bestimmte natürliche 
Erkrankung nachgewiesen wird. 
Der chemische Nachweis eines Giftes in den Leichentheilen resp. in den Aus- 
leerungen eines Vergifteten ist schon zuweilen für sich allein ein genügender Beweis 
der stattgehabten V.; in Uebereinstimmung mit den Krankheitserscheinungen und den 
pathologisch-anatomischen Leichenerscheinungen setzt er dieselbe in der Regel außer 
Zweifel. Ist ein Gift chemisch nachgewiesen worden, so darf nicht außer Acht gelassen 
werden, daß dasselbe auch, ohne daß eine V. vorliegt, während des Lebens oder 
nach dem Tode, in den Körper gelangt sein kann. Es kann ein Gift als Arznei- 
mittel (auch ohne Vorwissen des behandelnden Arztes) eingenommen worden sein, 
und wenn dies längere Zeit hindurch geschehen, sich in nicht unbeträchtlicher Menge 
aufgespeichert haben. Das Gift kann mit den Nahrungsmitteln, mit dem Trink- 
wasser, deren natürlichen Bestandtheil es bildet, oder dadurch, daß der Verstorbene 
in Folge seiner Beschäftigung mit ihm zu hantiren hatte, in den Körper gelangt 
sein. Die Möglichkeit, daß ein Gift erst nach dem Tode ausgenommen worden sei, 
ist namentlich bei nach längerer Zeit exhumirten Leichen zu berücksichtigen, in welche 
giftige Stoffe aus der Umgebung, aus den Bekleidungs= und Verzierungsstücken oder 
aus dem umgebenden Erdreich eingedrungen sein können. — Ergiebt die chemische 
Untersuchung ein negatives Refultat, so ist dies kein Beweis dagegen, daß eine 
V. stattgehabt habe. Es giebt eine ganze Reihe von Giften, welche die Chemie 
überhaupt nicht nach der Aufnahme in den Organismus nachzuweisen vermag, z. B. 
die meisten thierischen und viele Pflanzengiste. Andere an sich auffindbare Gifte 
tödten in so kleiner Dosis, wie z. B. manche Alcaloide, daß sie sich häufig ihrer 
minimalen Menge halber dem chemischen Nachweis entziehen. Wieder andere Gifte 
zersetzen sich so rasch, daß deshalb der chemische Nachweis im Stiche läßt. Es 
kann fernerhin alles Gift vollständig ausgeleert, ausgeschieden oder verflüchtigt worden 
sein (durch Erbrechen, durch den Stuhlgang, mit dem Urin, mit der Athemluft), 
und der Mensch starb doch an den Folgen der V. — Ganz abgesehen von der 
 
	        
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