Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Verordnungsrecht. 1059 
Quellen: RCPO. 125 ff., 147, 338 ff., 346 ff., 356 ff., 372 ff. — KO. 8 67. — 
Rötraf PO. §§ 128, 132 ff., 135 ff., 159, 164, 190, 222, 235, 237, 242, 365. — Oesterr. 
Straf PO. §§ 198 ff., 206, 245, 419 ff. — Frankr. Code Tiinstr. Crim. art. 93, 103. 
Lit.: Planck, System, S. 246, 249. — Zachariä, Handbuch, II. S. 232. — v. Ste- 
mann, Preuß. Strafverfahren, S. 82 ff. — Heinze, Strafproz. Erörterungen, S. 32. — 
v. Holtzendorff, Handb. des Strafproz., I. S. 380 ff. — Fuchs, ebend., II. S. 66 
Gneist, Vier Fragen, S. 99—123. — Ullmann, Oesterr. Strafprozeßrecht, 5 98. — 
Hélie, Traité de P’instr. crim., nr. 1918 ss.; Derselbe, Pratique crim., I. p. 96. — 
Morin, Journal du droit crim., vr. 4461 u. 4920. — Glaser, Engl.-Schottisches Straf- 
verfahren, S. 82. v. Holtzendorff. 
Verordnungsrecht. Das V. ist ein unmittelbarer Ausfluß der Regierungs- 
gewalt, vollziehenden Gewalt (des Imperium), beruhend auf dem Grundsatz, daß was 
die Obrigkeit im einzelnen Fall zu gebieten oder zu verbieten befugt ist, solches sie 
auch für alle Fälle gleicher Art gebieten und verbieten mag. Diese logische 
Korrelation ist so allgemeingültig, daß das V. in diesem Sinne identisch ist nach 
Deutschem, Englischem, Französischem und anderen Rechten. Jede geordnete Staats- 
gewalt hat ein V. in diesem Sinne. Jedes V. ist der Ausdruck einer bestehenden 
Regierungsgewalt. Soweit die Regierungsgewalt übertragbar, soweit ist das V. 
übertragbar auch auf untere Organe der Staatsgewalt. 
Die Grundlagen unseres V. sind schon in der Karolingischen Ver- 
fassung gelegt. Das friedlose Wogen und Drängen der Völker und der Kampf 
um die Hegemonie hatte das VIII. Jahrhundert der Idee zugeführt, daß es in 
der germanisch-romanischen Welt einer einheitlichen obersten Gewalt, eines Ober- 
königthums und eines Oberbischofthums bedürfe, wenn wieder Frieden auf Erden 
walten sollte. Durch Gottes Rathschluß sah man nunmehr die alte „AUniversal- 
monarchie der Menschheit“ von den Römischen Cäsaren auf Carolum Magnum und 
den Römischen Bischof übertragen. Durch gegenseitige Anerkennung der beiden 
Großmächte der Zeit wird die Theorie von dem „imperium mundi translatum“ zur 
offiziellen Grundlage für alles Recht in Kirche und Staat bis zum Schluß des 
Mittelalters. Kraft des Gebotsrechts, welches (analog der Römischen muleta) von 
den Karolingern durch Buße unter dem Namen des Königsbanns erzwungen 
wird, ergab sich ein V. zur Regelung der neuen Verhältnisse der Monarchie. Die 
Kapitularien der Karolinger bilden die erste großartige Grundlegung eines Ver- 
waltungsrechts durch Verordnung, mit welchem die Heeresverfassung, die 
äußere Verwaltung des Gerichtswesens, die Friedensbewahrung, das Verhältniß der 
weltlichen Macht zur Kirche, das ganze System der höheren Aemter maßgebend 
geregelt worden ist. 
Die Schranke des V. bildet indessen das hergebrachte Volks- 
recht der Germanischen Stämme. Es ist das Recht, welches nach der Ansiedelung 
der wandernden Völkerschaften sich gebildet hat aus dem angeborenen Rechtssinn 
und aus dem nachbarlichen Lebensbedürfnisse einer ansässigen Bevölkerung, — 
das heute sog. Gewohnheitsrecht, wie es sich aus dem Volk als „Natur- 
ganzem“ bildet, d. h. das aus der Gesellschaft in ihrer Gliederung nach Besitz- 
verhältnissen. Dies ohne unmittelbare Einwirkung der Obrigkeit sich bildende Recht, 
hat Jahrhunderte hindurch die Lebensordnung der freien Völker Indogermanischen 
Stammes gestaltet. Es beruht auf den durch das Herkommen formirten Klagerechten 
(legisactiones), aus denen sich Grundsätze des materiellen Rechts entwickeln für das 
später sog. Privatrecht (ein allmählich erweitertes Besitzrecht an beweglicher 
Habe, an Frauen, Kindern und Knechten, an Haus und Hof, zuletzt am Ackerbesitz), 
sowie die Genugthuung für Verletzungen des gemeinen Volksfriedens (das mittel- 
alterliche Strafrecht). Es begreift aber auch die herkömmliche Besetzung des 
Gerichts mit rechtskundigen Volksgenossen (judicium parium), welche allein die 
Schöpfer und Träger eines so gestalteten Rechts sein können. Diese Handhabung 
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