1062 Verorduungsrecht.
verhältnissen der Stände. Nirgends haben sie eine Initiative in der Gesetzgebung
erlangt. In der Mehrheit der kleinen Territorien fehlte überhaupt die Möglichkeit
zur Bildung einer gesetzgebenden Körperschaft. Ob und wieweit in den Reichsstädten,
in den kleinen geistlichen und reichsgräflichen Herrschaften ein Surrogat oder Aequi-
valent für die Gesetzberathung consilio optimatum sich bildete, hing von den „beson-
deren Verfassungen“ ab, und durchkreuzte sich dann wieder mit den verschiedenartigen
Autonomien und iura statuendi, welche aus den Lücken der Regierungs= und Gerichts-
gewalt des Reichs in dieser Zeit bervorgegangen „waren. Es erklären sich daraus
die schwankenden und geschraubten Sätze, mit denen die Deutsche Staatsrechtswissen-
schaft die Gestaltung der gesetzgebenden Gewalt in den Territorien beschreibt (Pütter,
Instit., § 223). Als letzte Aushülfe blieb nur übrig, daß man in Ermangelung
eines gesetzgebenden consilium den landesherrlichen Verordnungen legis vicem bei-
legte.
III. In dem Uebergangszustand des Absolutismus nach dem
dreißigjährigen Kriege ist das letztgedachte Verhältniß von der Ausnahme zur Regel
geworden. In den großen und bestregierten Landesgebieten treten die Landstände
in Ruhestand, oder werden, wie die Komitien der späteren Römischen Zeit, nur als
Schauversammlungen behandelt. Da aber gerade in diesen Gebieten die Aktion der
Gesetzgebung auf die Dauer nicht ruhen konnte, so blieb nichts übrig, als den Ver—
ordnungen des Landesherrn für sich allein legis vicem beizulegen. In Reminiscenz
an das ursprüngliche Verhältniß dachte man in den großen Territorien wol daran,
den neugebildeten Geheimen Staatsrath an die Stelle des consilium optimatum treten
zu lassen: allein zur bindenden Verfassungsvorschrift ließ sich die Zustimmung eines
vom Landesherrn ernannten Beamten kollegiums nicht erheben. Es treffen in
dieser Wandlung folgende Umstände zusammen: 1) In jeder Staatsverfassung tritt
nach dem Wegfall der mitbeschließenden Volksvertretungen die Regierungsgewalt der
Natur der Sache nach an die Stelle des früheren gesetzgebenden Organs, da die
Funktion der Legislatur auf die Dauer nicht ruhen kann. Der großartigste Vor-
gang ist der der Römischen Republik in der Zeit, wo mit dem Absterben der Volks-
versammlungen die Senatus Consulta und Constitutiones Principum die „Kraft der
Volksschlüsse“ (legis vicem) erhalten. Auch in England und Frankreich ist eine
solche Zwischenbildung eingetreten. 2) Es waren die zahlreichsten Vorgänge dafür
schon gegeben in allen Gebieten, in welchen keine landständische Verfassung entstanden
war, und in allen Materien, in denen die Landstände eine Mitwirkung bei der
landesherrlichen Gesetzgebung weder beansprucht noch erlangt hatten. Hatte man
doch selbst im Reich die Verordnungen und Gesetzsammlungen aller Kaiser als „kaiser-
liche Rechte“ anerkannt, sowie auch Konstitutionen Kaiser Friedrich's I. und II. als
Gesetze gelten lassen, nachdem sie von den Glossatoren in jene Sammlungen auf-
genommen waren. 3) Das frühere Hinderniß, welches sich aus der Gerichtsver-
fassung ergab, war weggefallen: es bedurfte keiner verstärkten Autorität der
landesherrlichen Verordnungen mehr, um die Schöffen zur Folgeleistung zu bestimmen.
Denn die Schöffenverfassung war erloschen, und die beamteten Richter (an den maß-
gebenden Stellen vom Landesherrn selbst ernannt) waren nicht in der Lage einem
legislatorischen Willen desselben die Anerkennung zu versagen. Es haben sich in dem
Zwischenzustand der Uebergänge aus der Schöffenverfassung in das gelehrte Richter-
thum zeitweise die Grenzen zwischen Justizverwaltung und Rechtsprechung in dem
Maße verschoben, daß die Gesetzeskraft der Verordnungen keineswegs die geringste
unter den Anomalien jener Zeit darstellt.
Entscheidend ist also fortan nur der Wille des Landesherrn darüber, ob
seine allgemeinen Erlasse nur die einfache Wirkung einer Verordnung, oder die höhere,
rechtsabändernde, für die Gerichtsurtheile maßgebende Kraft eines Gesetzes haben
sollten. Der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung wird in
dieser Zwischenperiode zu einem formellen (analog wie in der ent-